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Peaks of the Balkans, Teil 1

Tag 5, 02.06.2024

Die Nacht war für uns beide sehr erholsam. Keine ungewöhnlichen Vorkommnisse.

Als wir aufwachen, regnet es. Wir haben es also nicht eilig. Die Wettervorhersage kündigt uns einen schönen Tag an und nur eine 50%ige Regenwahrscheinlichkeit für den Morgen. Also vertrödeln wir ein bisschen Zeit, bis der Regen aufhört. So ist unser Plan. Doch der Regen hat einen anderen. Offenbar sind wir dieses Mal auf der falschen Seite der Wahrscheinlichkeit. Statt weniger regnet es zusehends mehr. Also ziehen wir die Regenkleidung an und trotzen damit Regen und Mücken.

Dann geht es bergauf, denn wir haben den Aufstieg gestern unterbrochen. Wir wandern lange durch den Wald, mal mit steilen, dann wieder ebeneren Abschnitten.

Anschließend kommen wir auf eine kleine Ebene. Alles ist grau, wolkenverhangen und sehr nass. Es regnet Bindfäden. Ansonsten hätte man hier aber auch gut zelten können. Es gibt viele schöne Wiesen und einen Bach. Wir steigen aber weiter auf. Nun steht der Aufstieg auf den Bajrak an und der hat es in sich.

Auf einer Strecke von 350 Metern geht es 150 Meter steil nach oben. Zum Glück hört der Regen pünktlich zu diesem Aufstieg auf. Der Weg ist dennoch extrem rutschig und die Füße finden nur selten viel Platz für einen entspannten Stand.

Doch um uns herum reißt nach und nach die Wolkendecke auf und verspricht eine grandiose Aussicht von oben.
Kurz vorher entdecken wir noch einen Feuersalamander. Den haben wir noch nicht real gesehen.

Oben angekommen machen wir erstmal Pause und trocknen wieder.

Mit uns sitzt dort eine Gruppe von drei Niederländer:innen, mit denen wir uns über die Tour und Wanderausrüstung austauschen. Die Frau fragt uns mehrmals nach unserer Meinung, ob das hier eine schwere bzw. herausfordernde Tour sei. Wir haben den Eindruck, dass sie eine Bestätigung braucht, die ihr ihre zwei Mitwanderer nicht geben. Da sie das allererste Mal wandert, geben wir ihr absolut recht. Der Peaks of the Balkans Trail ist nicht ohne. Die vielen Auf- und Abstiege haben es in sich. Davon abgesehen sind die Wege aber überwiegend sehr gut zu gehen. Das hat man ja auch nicht überall (ja, wir denken an Norwegen!).

Wir wandern ein kleines Stück über den Bergrücken und plötzlich höre ich von Stefan, der gerade über die nächste Anhöhe geht ein „Oh nein!“. Doch ich habe mich verhört, denn eigentlich war es ein „Oh wow!“ – und wirklich, wow! Was für eine Aussicht.

Wir können uns gar nicht satt sehen an diesem Bergpanorama, das sich dort vor uns ausstreckt. Denn inzwischen haben die Regenwolken der Sonne Platz gemacht und wir haben hervorragende Sichtverhältnisse. Diese werden nur gelegentlich von etlichen Fliegen gestört, die sich in dicken Schwärmen auf uns und unsere Ausrüstung (insbesondere auf die Trekkingstöcke, weshalb auch immer) stürzen, sobald wir stehen bleiben.

Da ich aber in deutlich besserer (seelischer) Verfassung bin, als das in Norwegen an dem Fliegentag der Fall war, finden wir das heute nur zeitweise ekelig, aber ansonsten nicht weiter schlimm.

Wir folgen dem Weg für die nächsten Stunden langsam bergab Richtung Vusanje und bleiben immer wieder staunend stehen. Jede Kurve verändert den Blickwinkel und es bleibt atemberaubend. Wir sehen jetzt den Prosllopit-Pass, über den wir in ein paar Tage in eben dieses Tal gehen werden.

Hoffentlich sind die Wetterverhältnisse dann ähnlich. Das wäre ein Traum.

Irgendwann wird der Weg zu einer Schotterstraße. Ein Schild verkündet ein Café in kurzer Entfernung, doch die Saison hat noch nicht richtig begonnen und so hat das Häuschen noch geschlossen. Das macht aber nichts, da uns jetzt nur noch 4 km von Vusanje trennen. Die Schotterstraße wird zur Asphaltstraße und so kommen wir gut voran. Doch die Sonne brennt auf uns nieder und so langsam fühlen wir die Anstrengung des bisherigen Tages.

Im Ort angekommen, bin ich total platt. Die Hitze hat mich mal wieder geschafft. Wir setzen uns an einen im Schatten liegenden Tisch eines Restaurants und freuen uns auf eine große Mahlzeit, denn heute haben wir wirklich Hunger. Das Essen ist aber mäßig in Quantität und Qualität, die Preise hingegen für hiesige Verhältnisse saftig. Nur das hausgemachte Brot ist mit 80 Cent ein Schnäppchen. Wir nehmen wieder zwei als Abendessen mit.

Auch wenn das nicht ganz die Pause war, die wir uns vorgestellt haben, hat sie doch zum Energie tanken gereicht. Wir machen uns wieder auf den Weg, sehen dabei eine Smaragdeidechse…

…und betreten kurz darauf erneut das Prokletije Naturreservat, in dem wir auch vorgestern schon waren.

Unser Ziel ist der Ropojan Jezero, ein See, der allerdings schon seit ein paar Jahren nicht mehr existiert. Das wiederum steht aber in den meisten Karten und Reiseführern nicht, so dass uns immer mal wieder Autos passieren, deren Insassen eventuell etwas enttäuscht sein könnten, wenn sie ihr Ziel erreichen.

Der Weg ist einfach und führt überwiegend über eine Schotterstraße.

Der Weg durch das Tal ist umwerfend schön. Die Zeltmöglichkeiten überbieten sich geradezu an Schönheit und der einzige Grund für uns doch weiterzugehen ist die Aussicht auf eine machbare Strecke morgen. Kurz vor unserem Ziel zweigt der Wanderweg in den Wald ab und wir dürfen nochmal ein paar Meter etwas steiler nach oben wandern. Dann sind wir am „See“ angekommen. Das Panorama ist wundervoll. Wir freuen uns über diesen tollen Zeltplatz und die schönen Aussichten aus dem Zelt heraus.

Zudem gibt es hier nicht allzu viele Fliegen und noch viel weniger Mücken. Perfekt!
Doch im Gegensatz zu dem Mückenplatz von gestern Abend sticht mich hier eine Mücke in die Stirn und es fühlt sich an, als würde mir ein zweiter Kopf wachsen. Den mitleidigen Blicken nach zu urteilen, die Stefan mir den restlichen Abend über zuwirft, mache ich Quasimodo gerade ernsthafte Konkurrenz. Zum Glück kann ich das selbst nicht sehen. Und über Nacht wird das sicherlich besser.

Heute zeigt unser Wandertacho knapp 21 km und knapp unter 1000 Höhenmeter.

Dazu noch eine kleine Ergänzung: Laut Wanderführer (das Buch von Rother) geht man auf dem Weg von Plav nach Vusanje eine Forststraße hoch (stimmt), dann ein kurzes Stück steil durch den Wald und zack – steht man auf der Hochebene. Ich weiß nicht, in welchem umnachteten Moment diese Routenbeschreibung verfasst wurde, aber das entspricht mal gar nicht der Realität. Was für ein anstrengender, vielfältiger und wahnsinnig schöner Tag heute!

Tag 6, 03.06.2024 und Tag 7, 04.06.2024

Das Wetter kann sich heute Morgen nicht entscheiden, wie es werden soll. Mal scheint die Sonne, dann regnet es wieder. Wir können uns also nicht entscheiden, wie wir uns anziehen sollen und schauen stattdessen aus dem Zelt. Vor dem Bergpanorama zeigen sich durch das Wechselspiel des Wetters immer wieder wunderbare Regenbögen.

Für einen kurzen Moment stehen wir in unserer Regenkleidung draußen, doch es ist einfach zu warm dafür. Da werden wir lieber von oben nass, zumal es bisher immer nur sehr kurze Schauern gegeben hat. Die Entscheidung ist gut, denn wir werden den restlichen Tag keinen richtigen Regen haben.
Der Weg durch das „Seetal“ ist weiterhin eindrucksvoll.

Die Berge sind einfach riesig.

Leider ist der Weg nur kurz und der nächste Aufstieg wartet. Kurz davor überschreiten wir aber noch die Grenze nach Albanien.

Durch einen Wald geht es nun in Serpentinen bergauf und noch fällt mir das etwas schwer, da ich mich erst warmlaufen muss. Aber das kommt zum Glück mit der Zeit.

Als wir das Waldstück verlassen, öffnet sich vor uns eine idyllische Ebene.

Es wirkt wie ein angelegter Park, umringt von hohen Bergen. Grüne Wiesen, gelegentlich keine Nadelbäume – einfach herrlich. Als hätte jemand einen perfekten Campingplatz hier eingerichtet. Nur das Wasser fehlt leider und wir wollen weiter, obwohl wir uns da gerade nicht ganz sicher sind. Am hinteren Ende der Wieso entdecken wir Ruinen von einfachen Häusern.

Ein Schlauch hängt noch von der Felswand. Wir vermuten, dass das Wasser sich einen neuen Weg gesucht hat und die Unterkunft deshalb aufgegeben würde.

Danach wird der Weg steiniger und steigt wieder an. Wir staunen weiterhin über die Natur, die uns umgibt. Es ist so unglaublich groß hier und wir so klein in dieser Landschaft.

Nachdem wir ein erstes Stück des Anstiegs geschafft haben, füllen wir unsere Flaschen an einem Bach auf. Bis zum Abstieg nach Theth ist das die letzte Möglichkeit für Wasser.
In der Landschaft und auf der nächsten Anhöhe entdecken wir Überreste militärischer Anlagen. Von hier oben war das Tal komplett zu überblicken.

Der Weg bleibt unvermindert schon.

Es geht bald ein Stück bergab zu einem kleinen Bergsee…

…und dann wieder bergauf, bis wir auf Theth blicken können.

Der Anstieg ist geschafft und nun geht es rund 1200 m hinab. Der Abstieg ist wesentlich entspannter, als wir das aufgrund des Höhenprofils vermutet hätten. Nur hier und da führt der Weg sehr nah am steil abfallenden Hang entlang.

Uns kommen ungewöhnlich viele Menschen entgegen. Der Aufstieg auf den Pass oder den daneben liegenden Berg, den Maja e Harapit ist als Tagesausflug wohl sehr beliebt. Uns irritiert dieses Gewusel ein bisschen, aber in den vergangenen fünf Tagen haben wir auch nahezu niemanden getroffen.
Vielleicht sind wir vom Tag zu sehr verwöhnt, doch die Strecke, die vom Fuße des Berges Richtung Theth führt, ist weder schön noch spannend.

Der Weg zieht sich und wir können die Taxioption mal wieder nachvollziehen. Unser Antrieb besteht aus der Aussicht auf ein Restaurant, das leider gar nicht existiert. Also gehen wir weiter und kommen zu unserer Abzweigung, die Richtung Valbona führt. Für ein Essen nach Theth zu gehen und deshalb noch weiter abzusteigen, um anschließend einen noch größeren Anstieg zu haben, lohnt sich für uns nicht. Unsere Vorräte sind noch ausreichend und dürfen auch mal weniger werden.

Direkt an der Ecke zum Aufstieg trinken wir an einem etwas windschiefen baumhausähnlichen Café eine Cola und kaufen zwei Packungen Brotchips, die unsere Vorräte ergänzen und das „ausgefallene“ Mittagessen ersetzen.
Danach geht es direkt etwas entspannter bergauf.

Weniger entspannend ist die Menge an Menschen, die uns hier entgegenkommt. Auch der Weg über den Valbona-Pass ist äußert beliebt und wird touristisch komplett ausgereizt. Für die Tagesetappe gibt es organisierte Gruppenausflüge, Gepäcktransporte, Gepäcktransporte per Pferd… alles ist möglich. Und da der Pass dieses Jahr sehr früh freigegeben wurde, sind unzählige Menschen hier unterwegs, obwohl die eigentliche Saison erst in ca. zwei Wochen beginnt.

Der Aufstieg beinhaltet 500 Höhenmeter und ist wenig interessant. Die Nachmittagssonne gart uns nochmal komplett durch und wir sind glücklich, als wir etwas abseits vom Weg einen perfekten Platz für uns und unser Zelt finden. Wir haben eine tolle Sicht auf das Gebirge hinter Theth, völlig ebenen und angenehmen Rasen unter uns und staunen über diesen Tag. Bis zum Ende des Abstiegs hat uns die Etappe heute voll und ganz beeindruckt. Wahnsinnig schön war das!
Und auch jetzt ist es hier ziemlich idyllisch. Sonne, grüne, sanft abfallende Hänge unter uns, Pferde, die frei umherlaufen und sich das Gras schmecken lassen.

So kann man den Tag durchaus ausklingen lassen!

Wir telefonieren mit unseren Eltern, schwärmen von dieser Tour und essen bei bester Aussicht. Um kurz vor 21 Uhr gehen wir zum Zähne putzen raus. Da ist es bereits stockdunkel.

Ab da beginnt die bisher schlimmste Zeltnacht unseres Lebens

Unterhalb am Hang steht vor mir ein Pferd. Es grast und schaut mich neugierig an. Denke ich jedenfalls. Es kommt schrittweise näher und ich finde es doch sehr neugierig, aber was soll schon passieren. Als das Pferd bedrohlich nahe an das Zelt herankommt, läuten bei mir die Alarmglocken. Das ist jetzt wirklich nicht gut. Stefan und ich versuchen, das Pferd verbal irgendwie zu verscheuchen, doch das interessiert sich dafür überhaupt nicht. Wahrscheinlich versteht es kein Deutsch. Also versuche ich, das Pferd irgendwie weg vom Zelt zu führen. Ein Glück, dass ich da gar keine Berührungsängste habe. Ein Pech, dass dem Pferd völlig egal ist, was ich tue. Es blickt mich zwar an, als ich es mit all meiner Kraft wegdrücke, doch da das Tier ein Vielfaches von mir wiegt, sind meine Versuche nicht von ganz großem Erfolg gekrönt. Als es dann unvermittelt die für mich völlig falsche Richtung wählt, mit dem Hinterbein in einem Abspannseil hängen bleibt und – wahrscheinlich um sich zu befreien – austritt, erwischt es mich am linken Oberschenkel. Verdammt, das tat weh. Aber so richtig konnte das Pferd da schließlich nichts für und ich stand halt einfach blöd. Jetzt führen wir das Pferd einfach weg hinter dem Zelt entlang und dann ist alles gut – denken wir immer noch irgendwie positiv.

Doch das Tier hat sich inzwischen ein Ziel gesetzt. Es will an/auf/in unser Zelt. Was vorher für uns eine angespannte Situation war, artet jetzt in völligem Stress aus. Der Rest der noch vorhandenen Zuneigung verpufft und wir wollen dieses blöde Vieh (und nein, so freundliche Worte hatten wir nicht) einfach nur noch von unserem Zelt wegbekommen. Ich halte das Pferd immer wieder irgendwie kurzzeitig im Zaum, Stefan kappt derweil alle Abspannungen, damit das Pferd sich darin nicht verheddert. Doch es hilft alles nichts. Wir stehen dem störrischen Tier vollkommen hilflos gegenüber. Wir kriegen das hier nicht hin.

Nun könnte man sagen, dass wir doch einfach hätten gehen sollen. Schließlich kann man die Ausrüstung doch neu kaufen und Hauptsache uns passiert nichts. Grundsätzlich richtig, doch nimmt man zum Zähneputzen halt weder Handy noch Portemonnaie und Papiere mit. Wirklich alles liegt im Zelt. Da wieder rein, während jeden Moment ein Pferd über einen trampeln könnte? Auf keinen Fall! Und nachdem das Zelt komplett am Boden liegt, da wir dem ollen Vieh in der Hinsicht lieber zuvorkommen wollten, hätten wir ohnehin nichts mehr gefunden. Stefan beginnt also lauthals um Hilfe zu rufen. Er schreit was das Zeug hält und wir hoffen inständig, dass irgendjemand kommt. Unterhalb von uns am Berg sind Leute, das hatten wir gesehen. Und irgendwo in der Nähe haben wir eine Gitarre gehört.

Es dauert etliche Minuten, die sich für uns wie Stunden anfühlen. Unser Ziel ist es jetzt, das Pferd davon abzuhalten über unsere Sachen zu trampeln. Es hat sich inzwischen mehrmals meinen Rucksack geschnappt und reagiert nur noch aggressiv und tritt in alle Himmelsrichtungen aus. Dann hören wir Stimmen und bald darauf kommen zwei junge Männer, die genau dieses …Pferd schon kennengelernt haben. Ich versuche weiterhin das Tier in Schach zu halten, während die drei Männer versuchen, möglichst viele unserer Sachen zu retten. Doch das Pferd ist weiterhin stärker als wir und läuft einmal quer über das am Boden liegende Zelt. Zu allem Überfluss hat es nun seine Herde angelockt, so dass wir uns jetzt gegen 10 Pferde verteidigen müssen. Bis auf das eine „f***ing psychopath horse“, wie wir es betiteln, benimmt sich der Rest aber. Das Psychopferd scheint hingegen auf eine verstörende Art Spaß an der Situation zu empfinden, denn es ist sichtlich erregt.

Irgendwie schaffen wir es trotzdem vereint unser Zelt hochzuheben und wegzutragen. Auf dem Weg legen wir eine Spur aus Ausrüstung, da das Innenzelt nicht verschlossen war, doch uns ist das erstmal egal. Am Wegesrand angekommen, stopfen wir schnell alles in unsere Rucksäcke. Während die beiden Männer auf die Sachen aufpassen, gehen Stefan und ich zurück und sammeln alles ein, was wir spontan finden und erreichen können. Alles andere werden wir morgen suchen. Das ist gerade nicht wichtig.

Zu viert gehen wir ein Stück bergauf und über einen kleinen Pfad durch ein Waldstück auf eine Lichtung. Wir sind ziemlich fertig und bedanken uns etliche Male. Hier campieren die zwei und nachdem wir den Schock ein klitzekleines bisschen verdaut haben, bauen wir unser Zelt erneut auf und machen Inventur. Es fehlen diverse Heringe, aber irgendwie steht das Zelt für den Moment. Wie durch ein Wunder ist nichts ernsthaft beschädigt und auch sonst haben wir bis auf Kleinigkeiten keine Verluste. Alles riecht intensiv nach Pferd, aber damit müssen wir wohl erstmal leben. Und jetzt? An Schlaf ist nicht zu denken, doch loswandern können wir auch nicht. Es ist stockdunkel und der Weg führt über einen Berggrat. Wir fiebern der Dämmerung entgegen. Ich bin dafür, dass wir wenigstens ein paar Minuten schlafen, damit wir den Anstieg und Abstieg vom Berg schaffen. Stefan steht noch komplett unter Schock und traut der Situation nicht. Wir packen all unsere Sachen in unsere Rucksäcke und lassen nur eine Matte und die Schlafsäcke als Decken draußen. Falls die Pferde erneut kommen sollten, können wir in kürzester Zeit flüchten.

Sicherheitshalber haben wir unsere Lebensmittel in einiger Entfernung in einen Baum gehängt, doch wir haben nicht den Eindruck, dass es dem „horny horse“, wie es bei uns vieren nun heißt, wirklich ums Essen ging.

Um 23 Uhr steht unser Zelt wieder, bis 23.30 Uhr packen wir und ich lese Stefan noch etwas vor, dann machen wir ein Hörspiel an. Dabei dösen wir tatsächlich beide ein wenig weg. Immer wieder schrecken wir hoch. Was war das für ein Geräusch? Nur der Wald. Alles ist gut. Ich schlafe wieder ein und habe einen Albtraum, dass die Pferde wieder da sind. Mit klopfendem Herzen liege ich wach und lausche. Doch alles ist ruhig. Dann weckt Stefan mich. Es ist 2.12 Uhr. „Ich habe etwas gehört. Ich glaube, sie sind da.“ Nein, sage und denke ich. Das kann nicht sein und höre es schnauben.

Stefan geht direkt raus, mein Puls explodiert und ich packe in Windeseile die noch im Zelt liegenden Teile ein, während Stefan die Tiere im Blick behält und die Heringe aus dem Boden zieht. In kürzester Zeit haben wir alles gepackt. Wir schreien erneut durch die Nacht, dieses Mal aber als Warnung. Bjorn aus Colorado und Alex aus Schweden, so viel wissen wir inzwischen, schlafen ein Stück weiter die Wiese runter und dorthin macht sich die Pferdemeute gerade auf den Weg, nachdem es bei uns nichts mehr zu holen gibt.
Dann stehen wir zu viert zusammen und versuchen, ein Lagerfeuer in Gang zu kriegen, um die Tiere zumindest jetzt von uns und unserem Gepäck abzuhalten.

Ich halte das ätzende Pferd in Schach, die zwei Männer versuchen sich am Feuer und Stefan sammelt derweil Holz. Als Stefan mit dem Holz zurückkommt, verfolgt ihn ein wilder Hund. Wenn du jetzt aggressiv bist, dann raste ich hier völlig aus, schießt es mir durch den Kopf. Doch der Hund hat nur, so wie wir, ein Problem mit den Pferden. Nach kurzer Zeit scheint er aber zu denken, dass wir die Situation wohl im Griff haben und ihn beschützen und rollt sich in unserer Nähe zusammen und schläft.

Für uns ist die Nacht aber vorbei. Es dauert viel zu lange, doch dann vertreiben wir die Pferde zumindest weg von unserer Feuerstelle. Schlafen wollen wir alle nicht mehr.

Wir sitzen um das Feuer herum, leuchten immer wieder hektisch in unsere Umgebung, um reflektierende Augenpaare auszumachen und sehnen die Morgendämmerung herbei.

Es dauert viel zu lang, doch um halb 5 ist es einigermaßen hell, so dass wir uns auf den Weg zu unserem vorherigen Platz machen und dort Heringe und Müll einsammeln. Das hatte gestern so gar keine Priorität.

Wir sind völlig erledigt, können die Erlebnisse der Nacht kaum fassen und wollen nur noch weg von hier. Wölfe oder Bären, das sind doch die kritischen Tiere im Balkan. Aber ein einzelnes Pferd? Wir können es einfach nicht glauben.
Um 5.10 Uhr sind wir unterwegs und steigen hoch zum Pass. Dabei sind Stefan und ich nun nicht mehr allein. Der Hund hat sich uns angeschlossen und begleitet uns auf dem ersten Stück unserer heutigen Wanderung.

Der Himmel strahlt blau und die Luft ist immerhin noch angenehm.

Durch den frühen Start entgehen wir den Touristenmassen, versuchen wir zu scherzen, doch lachen können wir darüber noch nicht.

Gegen 7.15 Uhr erreichen wir den Pass, inzwischen wieder zu zweit.

Unterwegs gab es eine Frühstückspause, als wir uns weit genug von den Pferden entfernt fühlten.

Der Pass und der erste Teil des Abstiegs sind sehr hübsch, aber nicht mit der gestrigen Etappe vergleichbar.

Als wir ein Drittel des Abstiegs geschafft haben, machen wir auf einem Stück Wiese Pause. Wir dösen ein bisschen in der Sonne. Die Müdigkeit kommt durchaus durch. Dann reißt Stefan mich lauthals aus meinem Dämmerschlaf. Ich schrecke hoch und befürchte die nächste Katastrophe, doch da sitzt plötzlich „nur“ wieder der Hund neben uns. Huch, wo kommst du denn her?? Kurz darauf folgen Alex und Bjorn, die den Hund wohl unterwegs von uns übernommen haben. Wir spekulieren, dass wir fünf nach der letzten Nacht nun wohl ein Rudel bilden. Die zwei gehen weiter, wir drei bleiben noch kurz zurück.

Dann steigen wir weiter ab. Der Hund trabt mal vor, dann wieder hinter uns und ist irgendwie eine nette Begleitung. Doch als wir zu einer Stelle kommen, an der es Getränke und vielleicht auch etwas Essbares gibt, verlässt er uns sofort. Er muss eben auch gucken, wo er bleibt.

Für uns geht es weiter abwärts.

Ab ca. 9 Uhr kommen uns immer wieder Leute entgegen. Der Abstieg ist ziemlich eintönig, liegt aber immerhin größtenteils im Schatten. Da die Sonne schon jetzt brennt, genießen wir das.

Bis wir unten ankommen, passiert nicht mehr viel. Wir überlegen an einem Café (so heißen die Hütten alle, die irgendeine Art von Getränk anbieten und mal schick, mal eher zerfallen aussehen) eine Pause zu machen und gehen schnell weiter, als dort gerade eine Busladung Touristen ausgekippt wird. Was die alles an Gepäck dabeihaben – u.a. riesige Koffer! Das dürfen gleich einige Pferde den Berg hinauf und hinab tragen. Wie unnötig.

Wir gehen also zum nächsten Café, das ganz gemütlich aussieht.

Ein älteres Ehepaar wohnt dort. Die sehr herzliche Frau übernimmt die Kommunikation und größtenteils per Zeichensprache verstehen wir uns.

Nach einem kalten Getränk gehen wir weiter über eine Schotterstraße, die zu einer riesigen Schotterfläche, ein (ehemaliges) Flussbett…

und schlussendlich zu einer asphaltierten Straße wird. Wir finden die Strecke heute nicht besonders toll. Der Weg zum Pass ist nicht toll, der Weg danach auch nicht und zieht sich einfach sehr. Doch das Valbonatal ist wunderschön. Absolut sehenswert! Allerdings sind wir der Meinung, dass es auch wirklich ausreichend ist, hier mit dem Auto durchzufahren und zwischendurch Fotostopps einzulegen.

Um kurz vor 12 Uhr erreichen wir unsere Unterkunft. Check-in ist ab 14 Uhr, aber wir können direkt auf’s Zimmer. Es ist sehr einfach, aber vermutlich landestypischer Standard. Dafür hat es eine tolle Aussicht.

Lediglich das Bad ist etwas seltsam, da man auf dem Klo duschen könnte. Wobei Stefan auch mal eine Wohnung hatte, in der man auf der Toilette kochen konnte, habe ich gehört…

Wir duschen, holen dann einen Teil des fehlenden Schlafes nach und waschen unsere Kleidung. Zumindest die Teile, die es nötig haben. Dann gehen wir zum Abendessen und bekommen mehrere kleine Gänge bestehend aus einfacher regionaler Küche. Zwischendurch geht immer mal wieder der Strom weg, aber bei den wirren elektrischen Leitungen, die sich hier durch die Nachbarschaft spannen, ist das nicht ganz verwunderlich.
Anschließend lassen wir den Abend gemütlich ausklingen, gucken die Fotos der bisherigen Tour und hoffen auf eine sehr ruhige und erholsame Nacht ohne schlechte Träume…

Wir freuen uns darauf, morgen wieder im Zelt zu liegen, aber heute sind wir wirklich froh, dass wir ein Zimmer haben. Falls wir in der Nacht aufschrecken sollten, ist jedenfalls direkt klar, dass kein Pferd in unmittelbarer Nähe ist.

Bjorn meinte noch „One day this is gonna be a story“. Irgendwann sicherlich, aber aktuell sind wir an dem Punkt noch nicht.

Comments (8)

  1. Hi ihr beiden,

    voller Begeisterung habe ich mich auf euren Balkan Bericht gestürzt. Für uns wird es im Herbst auch wieder in diese Richtung gehen, allerdings mit Allmo 🚒.

    Habt ihr bei eurer Wanderung zum Ropojan jezero sehen können, ob es eine Zufahrt für Fahrzeuge gibt?

    Die Story mit dem horny horse ist ja unglaublich. So ein Verhalten scheint mir nicht typisch zu sein. Aber ich kenne mich mit Pferden so gar nicht aus. Ob ihr euer Zelt auf dem Schlafplatz des verrückten Pferdes
    aufgestellt hattet? Auf so ein Erlebnis kann man gut verzichten, aber in der Tat wird dies euch immer in Erinnerung bleiben.

    Liebe Grüße Sandra

    1. Hallo Sandra,
      es freut uns, dass du uns auch außerhalb von Norwegen „verfolgst“. 😉

      Wir haben auf dem Weg zum Ropojan Jezero beim Eintritt in den Nationalpark Prokletije eine Schranke mit einem Kassenhäuschen (für den Eintritt von 3 €) passiert. Die Schranke war geöffnet, das Häuschen unbesetzt – das wird aber wahrscheinlich nicht immer so sein.
      Auf der weiteren Straße sind auch einzelne Autos gefahren – aber keine Ahnung, ob das erlaubt ist. Mit einem normalen Auto würde ich die Straße aber auch nicht fahren (sehr grobe Schotterstraße mit teils größeren Felsblöcken). Allmo sollte das aber schaffen. 🙂
      Alternativ gibt es vor der Schranke auch offizielle (kostenlose) Stellplätze, so dass ihr ggf. auch nur bis dahin fahren könntet und den Rest zu Fuß lauft. Für uns war das Tal ein Highlight auf der Tour. Wann geht es für euch los? Habt ihr schon eine grobe Route?

      Das Pferdeerlebnis hat uns sehr geprägt. Vor allem will man sich nicht vorstellen, was hätte passieren können, wenn wir nicht zufällig noch aus dem Zelt gegangen wären. Vielleicht wäre aber auch nicht passiert. Wer weiß.
      Auch wenn wir nicht alle Pferde in eine Schublade stecken wollen, werden wir eine „idyllische Pferdewiese“ als Zeltplatz zukünftig wohl meiden. Das braucht man definitiv nicht noch einmal.

      Liebe Grüße
      Stefan

      1. Hallo Stefan,

        natürlich verfolge ich euch auch außerhalb von Norwegen. 😀

        Mitte September geht es los. Start ist wieder das Signallicht Treffen in Keltern (Schwarzwald). Von dort geht es zügig nach Bosnien und dann etwas entschleunigt durch Bosnien, Montenegro und Albanien. Vor zwei Jahren waren wir auch schon in diesen Ländern unterwegs. Diesmal wollen wir einige Pisten fahren (entsprechende Offroad Guides sind gestern eingetroffen). Bisher stand der Kosovo nicht auf dem Plan, wobei es die einzige Gelegenheit ist eine neue Länderflagge auf Allmo dazu zubekommen 😁. Daher werde ich die grobe Planung etwas überarbeiten.

        Den Ropojan jezero werde ich in der Planung berücksichtigen. Zur Not können wir dann ja auch vor der Schranke übernachten. Was uns natürlich an der Zufahrt hindern könnte sind zu niedrige Bäume oder zu schmale Zufahrtswege, aber das werden wir dann schon sehen.
        Vielleicht gibt es in eurem noch ausstehenden Reisebericht noch weitere interessante Punkte 😉

        Den Winter werden wir auf Kreta verbringen. Fähr-erprobt sind wir inzwischen und auch wenn es nicht so warm werden wird wie auf den Kanaren wird dies sicherlich ein gutes Überwinterungsziel sein.

        Nach eurem Pferdeerlebnis werden wir unseren Standplatz demnächst auch genau unter die Lupe nehmen. Das man in Afrika nicht auf „Tier-Wegen“ parken soll ist uns klar, aber im Balkan ist wohl auch Vorsicht geboten.

        Ich bin gespannt, für welches Reiseziel ihr euch im Herbst entscheiden werdet.

        Liebe Grüße Sandra

  2. Schöner Bericht und tolle Bilder (schön viel Kontrast und vor allem Farbsättigung 😉 )!

    Die Pferde-Sause ist wirklich schockierend aber hoffentlich werdet Ihr da bald drüber lachen und nach lange von erzählen können.

    Wann geht es denn weiter??

  3. Hallo Ihr beiden,
    Eure Reiseberichte sind immer wieder toll bestätigten die Lust fürs Wandern, außer vielleicht der Zwischfall mit dem verrückten Pferd 🥴. Ich freue mich schon auf Eure nächsten Berichte, besonders aus meinem Lieblingsreiseland 🇧🇻, wo meine Frau und ich wieder dieses zum Wandern sein werden.
    Liebe Grüße Christian

    1. Hallo Christian,
      schön, wieder von dir zu hören! Wann und wo seid ihr denn in Norwegen unterwegs?
      Liebe Grüße
      Simone & Stefan

  4. Hallo Ihr zwei,
    wir wollen ab dem 20.07 von Kristiansund einen Teil der Fjordruta wandern, dann aber diese verlassen, um in Hjerkinn unsere Wanderung enden zu lassen.
    Im Gegensatz zu Euch werden wir von Hütte zu Hütte wandern, da diese einfach zu verlockend sind😊.
    Liebe Grüße Christian

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