Norwegen 2024 Teil 3, Jotunheimen
Tag 15, 10. August 2024
So wie der gestrige Tag aufgehört hat, beginnt der heutige. Es regnet.
Und das soll den ganzen Tag so weitergehen. Wir spielen mit dem Gedanken, noch eine Nacht in der Unterkunft zu bleiben und das Wetter so auszusitzen. Ich schreibe unserem Vermieter, aber da die Antwort auf sich warten lässt, packen wir sicherheitshalber schon mal. Und als die gepackten Rucksäcke dort stehen, packt uns auch die Wanderlust. Also gehen wir los und erwischen einen regenfreien Moment. Wir sehen unsere Umgebung und müssen feststellen, dass es hier echt schön ist. Da wir im Gelände viel Wasser vermuten, nehmen wir heute den ganz einfachen Weg: die Straße. Zumindest für die ersten acht Kilometer. Es herrscht wenig Verkehr und so kommen wir gut und problemlos voran.
Nach drei Kilometern setzt der Regen ein, aber er befindet sich in einem konstanten Wettstreit mit der Sonne und so regnet es nicht dauerhaft. Manchmal gibt es sogar leichte Regenbögen. Alles in allem sind wir mit unserer Entscheidung, doch gestartet zu sein, also sehr zufrieden.
Nach den Straßenkilometern geht es steil bergauf ins Fjell.
Die ersten 200 Höhenmeter sind schnell geschafft, doch oben stellen wir überrascht fest, dass der Regen heute gar nicht das große Thema wird. Stattdessen wartet dort auf uns ein richtig, richtig starker Wind. Wir haben gut damit zu tun, uns auf den Beinen zu halten. Insbesondere die Böen greifen immer wieder unvermittelt an.
Für uns ist klar, dass wir heute unter gar keinen Umständen zelten können. Das Zelt würde uns garantiert um die Ohren fliegen, zumal der Wind im Laufe des Tages noch zunehmend soll. Nach nur 13 km beenden wir unseren Tag in der Slettningsbu.
Die Hütte liegt richtig schön umgeben von Bergen an einem See und ist auch innen gemütlich. Dort begrüßt uns Erik aus Belgien. Er traut sich bei dem Wetter gar nicht erst vor die Tür und pausiert lieber.
Später am Nachmittag bekommen wir Gesellschaft von einem Schweden, dessen Rucksackinhalt überwiegend aus Lebensmitteln besteht und deshalb viel zu schwer ist. Sagt er jedenfalls selbst, bedient sich aber noch am Hüttenproviant. Wir müssen doch ein bisschen schmunzeln und er selbst durchaus auch.
Später am Abend kommt noch eine Gruppe von zwei Norwegerinnen und einem Norweger zu uns in die Hütte. Sie sind völlig platt und einfach nur froh, angekommen zu sein. Der starke Wind hat sich zu einem handfesten Sturm entwickelt, der die Hütte umtost und zu starkem Wellengang auf dem See führt. Die Hüttentür zu öffnen und dabei nicht gleich mit rauszufliegen, ist ein ganz schöner Kraftakt…
Die drei breiten all ihre nassen Sachen aus und dann entsteht eine muntere Gesprächsrunde über die Wege und bisherige Touren. Besonders fasziniert uns, dass der Norweger eine Sehkraft von 15-20 % hat und mit Cochlea-Implantaten versorgt ist. Die beiden Norwegerinnen dolmetschen deshalb zusätzlich in norwegischer Gebärdensprache und ich schaue ganz genau hin. Wenig überraschend sind die Unterschiede zur Deutschen Gebärdensprache deutlich, soweit ich das mit meinem doch eher begrenzten Gebärdenwortschatz beurteilen kann. Wir sind jedenfalls sehr beeindruckt, dass der Norweger solche Touren (sie wandern den MASSIV-Trail) macht. Das ist hier oft genug auch mit normaler Seh- und Hörfähigkeit herausfordernd genug.
Kurz bevor wir ins Bett gehen, buchen wir schweren Herzens für morgen ein Doppelzimmer in der nächsten Hütte. Die ist bewirtschaftet und damit so gar nicht unser Ding. Überhaupt ist es total ärgerlich, dass wir in diesem Urlaub so viel in Hütten sind, aber das Wetter und das Sommerzelt lassen uns da nicht viel Wahl. Morgen soll es zwar nur noch wenig bis keinen Regen mehr geben, aber dafür nimmt der Wind noch weiter zu. Also ist wieder nicht an zelten zu denken… doof!
Tag 16, 11. August 2024
Der Sturm hat sich hartnäckig über Nacht gehalten und wird heute im Laufe des Tages noch weiter zunehmen. Erik beschreibt es mit den Worten: „still not very inviting outside.“
Damit hat er definitiv recht. Aber wir wollen weitergehen und starten deshalb um 9 Uhr von der Slettningsbu. Damit sind wir die ersten, aber auch alle anderen sind im Aufbruch. Sogar Erik, wenn auch nicht sehr begeistert. Ich glaube, ihm ist das zu doof, hier noch einen Tag zu sitzen, wenn alle anderen sich trotzdem raus in das Wetter wagen.
Bei kuscheligen vier Grad haben wir uns dick eingemummelt und diesmal auch die Handschuhe nicht vergessen.
So lassen sich die Kälte und Nässe aushalten!
Die ersten Meter sind sehr anstrengend. Zum Glück kommt der Wind nicht von vorne, aber wir müssen uns dennoch ziemlich gegen den Wind stemmen. Sobald wir etwas an Höhe verlieren, wird das aber leichter.
Wir steigen zügig vom Berg ab und durchqueren ein Ferienhausgebiet (schätzen wir jedenfalls).
Anschließend geht es für einige Kilometer am Tyin (See) entlang. Der Regen der letzten Tage hat hier ganze Arbeit geleistet. Der See hat ordentlich viel Wasser und der gesamte Uferbereich ist ein einziges großes Matschloch. Wir laufen also konsequent im Zickzack, um den tieferen Schlammlöchern auszuweichen. Vorsorglich haben wir aber unsere Gamaschen angezogen und die lohnen sich hier ganz eindeutig. Stellenweise führt der Weg durch den nun knietiefen See, also gehen wir lieber außen herum.
Immer, wenn wir heute eine Pause machen wollen, fängt es an zu regnen. Die erste Pause ist dementsprechend kurz. Anschließend schlängelt sich unser Weg über bzw. seitlich des Gipfels am Fonnkloppeggi entlang.
Da Stefan heute nicht so richtig fit ist, findet er den Anstieg ziemlich doof. Doch die Aussicht dahinter sieht schön aus und entschädigt ein bisschen.
Weniger schön ist es, dass es den ganzen Nachmittag über regnet. Das hatten wir uns anders vorgestellt. Eigentlich sollte das Wetter heute deutlich trockener als gestern sein, doch stattdessen ist es einfach wie gestern. Der Abstieg vom Berg ist immerhin sehr einfach und danach geht der Matschpfad weiter. Wir passieren die Flüsse und Bäche aber wieder trockenen Fußes und verbuchen das immerhin als Erfolg.
Außerdem ist die Landschaft hier wirklich wieder schön. Auch wenn in den größeren Bergen um uns herum dichte Wolken hängen, sind die Ausblicke schon jetzt toll und machen solche Tage trotz Wetter und Untergrund lohnenswert. So schnell vermiest uns hier nichts die Laune!
Kurz bevor wir das Fjellstück hinter uns lassen, kommen wir mit einem älteren norwegischen Ehepaar ins Gespräch. Die beiden machen einfach so einen Spaziergang. Wir sind äußerst fasziniert. Bei dem Wetter und vor allem in DER Gegend?? Das ist einfach die norwegische DNA, die da durchschlägt. Anders können wir uns das nicht erklären. Ohne unseren Eltern etwas unterstellen zu wollen, aber bei Regen und starkem Wind wären sie sicher nicht auf dem matschigsten, rutschigsten und steinigsten Weg der Umgebung unterwegs…
Kurz darauf erreichen wir die Straße, die uns zur Fondsbu Hütte am See Bygdin führt.
Die Kilometer bis zum Ziel genießen wir jetzt, da es sich so schön einfach gehen lässt.
Der Blick auf den Bygdinsee und die umliegenden Berge ist traumhaft schön. Wir sind sehr beeindruckt.
Der Wind, den wir zwischenzeitlich zwischen den Bergen fast vergessen haben, erinnert uns hier aber wieder eindrücklich, weshalb es in eine Hütte geht. An den windstilleren Stellen war aber alles soooo nass, dass zelten dort auch nicht geklappt hätte… So freuen wir uns auf unser Ziel.
Um 16 Uhr kommen wir an und verbringen die Zeit bis zum Abendessen um 19 Uhr mit duschen, lesen und Sachen trocknen.
Beim Abendessen sitzen neben uns ein niederländisches Ehepaar und zur anderen Seite eine (vermutlich) britische Reisegruppe. Das Essen ist hervorragend und wir unterhalten uns fortwährend mit dem Ehepaar aus Amsterdam über das Wandern in Norwegen, Ausrüstung und die viel zu hohen Preise in Amsterdam. Es ist ein kurzweiliger und schöner Abend.
Als Stefan und ich anschließend noch bei einer Tasse Tee im Gemeinschaftsraum sitzen, erzählt Stefan mir, dass er den Niederländer schon aus der Dusche kannte. Die offenen Duschen sind hier schon immer wieder ein Highlight…
Die Fondsbu Hütte ist übrigens nicht nur für ihr gutes Essen, sondern auch für ihre Inhaberin, Solbjørg, bekannt. Sie singt traditionell zwischen den Gängen, ist heute aber stimmlich sehr angeschlagen. Dennoch lässt sie es sich nicht nehmen, vor dem Dessert zumindest ein kurzes Ständchen darzubieten. Wirklich toll!
Auch wenn wir nicht gerne in bewirtschafteten Hütten sind, empfehlen wir diese durchaus!
Tag 17, 12. August 2024
Früh am Morgen wache ich kurz auf und frage mich, weshalb die Kleiderstange in unserem Zimmer plötzlich ein eingebautes Licht hat und weshalb das nun so intensiv orange leuchtet. Mein verschlafenes Ich denkt nicht weiter darüber nach und dreht sich nochmal um.
Tatsächlich gibt es keinen Lichtschalter, sondern Sonne! Der Himmel strahlt in seinem schönsten blau und wir können unser Glück kaum fassen. Es ist ein richtig guter Tag!
Da wir nicht zeitgleich mit allen anderen starten wollen, lassen wir uns beim Frühstück viel Zeit. Wir treffen erneut auf das niederländische Paar und folgen der Käseempfehlung. Norwegischer Käse ist nicht gerade ein kulinarisches Highlight, aber die eine regionale Sorte beim Buffet ist richtig gut. Besser als viele aus NL, sagt der Mann. Das soll was heißen!
Wir frühstücken gut, packen uns noch Brote für unterwegs ein und dann geht es um halb 10 los.
Stefan ist hin und weg vom Wetter und kriegt sich vor lauter Freude gar nicht mehr ein. Den ganzen Tag über strahlt er immer wieder und sagt, was für ein geniales Wetter das heute doch ist. Recht hat er!
Wir gehen erst eine Weile am Bygdinsee entlang und steigen dann am Høystakka bis zum Wasserfall auf.
Die dahinter liegende Hochebene ist eindrucksvoll.
Es ist herrlich, endlich mal wieder die komplette Umgebung sehen zu können. Das hat uns in der verganenen Woche definitiv gefehlt. Hier ist es einfach wahnsinnig schön und hinter jedem Hügel wird die Aussicht noch besser. Es ist der perfekte Tag, um in den Bergen von Jotunheimen unterwegs zu sein.
Nachdem wir lange auf der Hochebene unterwegs sind, folgt der Abstieg in das Veslådalen. Zuvor machen wir aber noch eine Pause, die uns einen ersten Blick auf den See Gjende zwischen den Gebirgen beschert. Wow! Da fehlen mir kurz die Worte, so wunderschön ist die Aussicht!
Der Weg hinab zum Gjende und der dortigen DNT Hütte Gjendebu ist unkompliziert, macht uns aber beide sehr müde.
Die Nachmittagssonne ist ziemlich intensiv und zieht an unseren Energiereserven.
Nach dem Abstieg passieren das weitläufige Hüttengelände (schön sieht das hier aus) und machen ein paar Kilometer weiter am Gjendeufer eine letzte Pause.
Kräftesammeln ist angesagt, denn wir wollen nicht hier unten zelten, sondern oben in den Bergen der Memurutunga. Leider heißt das nochmal 500 Meter in die Höhe gehen. Also legen wir uns während unserer Pause ins Gras, machen für ein paar Minuten die Augen zu, essen und trinken anschließend ein bisschen und fühlen uns fit genug für den Aufstieg.
Die ersten Meter sind ziemlich steil und gehen ordentlich in die schon müden Beine. Zumindest gewinnt man so schnell an Höhe, sage ich mir immer. Was dann kommt, überrascht uns aber beide.
Der Berghang ist ziemlich felsig und richtig steil, sodass über längere Passagen dicke Eisenketten am Fels hängen, an denen wir uns nun hochziehen/klettern/hangeln müssen.
Das ist sehr abenteuerlich, herausfordernd und so absurd, dass es schon fast wieder Spaß macht. In jedem Fall liefert uns das die benötigte Energie, um den ganzen Anstieg mit diversen Kletterpassagen gut zu meistern.
Ich bin allerdings sehr froh, dass ich unten noch nicht wusste, was da auf uns zukommt.
Die Ausblicke sind den Anstieg erneut absolut wert und als dann oben auch noch ein Rentier auf uns wartet und wenige Meter von uns entfernt völlig unbeeindruckt von wandernden Leuten vor sich hin mampft, ist das Wanderglück für heute endgültig perfekt.
Jetzt müssen wir nur noch einen Zeltplatz finden. Dafür geht es ein kleines Stück hinab und am Ufer eines kristallklaren Sees finden wir eine brauchbare Stelle. Der Untergrund ist etwas steinig, aber durchlässig genug, um die Heringe in den Boden zu kriegen und wir freuen uns so sehr über den Tag und die Zeltstelle, dass uns auch ein unebener Untergrund nichts anhaben kann.
Endlich wieder eine Zeltnacht! Was war das für ein schöner und eindrucksvoller Tag heute!
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