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Nordkapp – und dann?

Heute vor zwei Monaten sind wir am Nordkapp angekommen. Es kommt uns immer noch vor wie ein Traum. Wie ein sehr, sehr schöner Traum!

Wir haben nachgerechnet: Bis zu unserer Ankunft am Nordkapp haben wir insgesamt 128 Tage (davon 111 Wandertage) gebraucht. Von den 127 Nächten haben wir 82 im Zelt verbracht, 18 in DNT Hütten und – für ein wenig Luxus (z. B. eine Dusche) – 27 in Hotels, Airbnbs oder privaten Unterkünften.

Zur Erinnerung eine Zusammenstellung unserer (mal mehr, mal weniger) traumhaften Zeltplätze.

Während der Wanderung der 2.723 km durch Norwegen haben wir immer mehr Kondition aufgebaut und uns dabei ein wenig verändert:

 

Apropros Kondition – auf unserer ersten Etappe von Lindesnes bis Evje sind wir pro Tag durschnittlich ca. 18 km gelaufen. Auf unserer letzten Etappe von Alta bis zum Nordkapp waren es ca. 30 km. Alle, die uns vorher gesagt haben, dass man die Kondition während der Tour aufbaut, haben letztlich Recht behalten – auch wenn wir das zu Beginn nicht so recht glauben wollten… Wir sind nach wie vor begeistert, wieviel man schaffen kann, wenn man nur jeden Tag „ein bisschen“ wandert. 🙂

Aber was ist seitdem passiert und wie geht es uns überhaupt?

Wir sind noch bis zum 22. September in Alta geblieben. Einfach mal nichts machen, faul rumliegen, keine Organisation für die kommende Etappe.

Es war seltsam.

Plötzlich war unser Alltag, den wir uns während der letzten Monate erarbeitet hatten, einfach weg.

Nordlichtkathedrale

Wir haben Alta ein bisschen erkundet (das geht sehr schnell), haben sein paar Souvenirs gekauft und uns einfach sehr verloren gefühlt.

Am 22.09. ging es dann nach dem Frühstück zu Fuß zum Flughafen.

Obwohl wir uns vor unserer Tour immer geschworen hatten, dass wir nicht fliegen werden, haben wir uns letztlich doch dafür entschieden. Die Schifffahrt haben wir unterwegs schon ausgeschlossen. Es ist einfach nicht so wirklich unser Ding. Als wir dann nach öffentlichen Verkehrsmitteln gesucht haben, war die Wahl für den Flug ziemlich eindeutig. Wir hätten 4-5 Tage in Bus und Bahn verbracht, um überhaupt nach Oslo oder Stockholm zu kommen. Nein danke.
Stattdessen ging es nun gegen Mittag von Alta nach Oslo und bald darauf von Oslo nach Düsseldorf. Immerhin konnten wir auf dem ersten Flug noch einen tollen Blick auf das Nábár werfen, das inzwischen schon eine leichte, aber sehr deutlich erkennbare Schneeschicht zeigte.

Dass wir ziemlich wehmütig waren, ist wohl nicht überraschend.

Am Flughafen empfingen uns meine Eltern und vor unserer Haustür warteten eine meiner Schwestern samt Familie und ein paar Freunde. Ein kleiner und sehr schöner Empfang.

Das Aufwachen im eigenen Bett war komisch. Wir waren froh, dass wir uns für den Abend direkt Programm vorgenommen hatten. Es ging zu meiner anderen Schwester nach Willich, wo wir als Überraschungsgast zum jährlichen Minifestival auftauchten. Die perfekte Gelegenheit, um das Ankommen noch ein wenig hinauszuzögern.

Am Sonntag mussten wir uns aber unweigerlich mit dem Zuhausesein befassen. Das tägliche Wandern war vorbei, die norwegische Weite war weg. Als Willkommensgeschenk brachte uns die Zivilisation direkt eine dicke Erkältung. Na danke! So bestand unsere erste Woche aus dem ultimativen Kontrast: auf dem Sofa liegen und gaaaar nichts tun. Nur für die Emotionen war Platz. Das dumpfe Gefühl aus Traurigkeit und Leere, das Noch-gar-nicht-realisieren-können und sich total deplatziert vorkommen. Immer wieder bin ich nachts desorientiert aufgewacht. Und das, obwohl ich doch nun einfach immer am gleichen Ort aufgewacht bin.

In der zweiten Woche wurde uns klar: Wir müssen raus! Also ging es kurzerhand nach Zoutelande ans Meer.

Das war schön, aber irgendwie fühlte sich auch das seltsam an. Als wären wir noch nicht dazu in der Lage, neue Eindrücke zuzulassen. Unsere Köpfe waren zu voll von den letzten Monaten, von all den Eindrücken, für die wir während der Tour kaum Zeit hatten.

Doch Zuhause sein war auch nicht das Richtige.

Am 06. Oktober war ich das erste Mal wieder auf einem Konzert. Zusammen mit einem Freund ging es zu Hannes Wittmer. Ganz klein, ganz ruhig und ganz, ganz wunderbar. Immer wieder gab es einzelne Zeilen, die sich anfühlten, als wären sie genau dort nur für mich und für all meine wirren Gedanken geschrieben worden. Die Musik tat gut. Und das Gefühl, dass zumindest auf Konzerten alles noch genauso schön ist wie vorher, auch.

In der dritten Wochen machten wir Urlaub. Wir zwangen uns zum Wegfahren, um anschließend vielleicht doch wieder ein Gefühl von „Zuhause“ in unseren eigenen vier Wänden zu empfinden. Es ging nach Thüringen. Zuerst ein paar Tage in den Thüringer Wald.

Der ist an sich zwar wirklich schön, aaaaber…. Wir waren (und sind) einfach noch zu sehr verwöhnt. Endlose Weiten, große Einsamkeit und völlige Ruhe fernab von allem gibt es halt nicht.

Und Kühe sind einfach nicht so toll wie Rentiere.

Bevor wir völlig verzweifelten, wechselten wir das Urlaubsprogramm: Städte und Kultur sollten her. Bitte genau das, was wir sonst vermeiden. Hauptsache ein Kontrast zur Natur!
Also besuchten wir die Drachenschlucht (okay, ein bisschen Natur ging doch noch. Sehr empfehlenswert übrigens!),

Kleine Drachen gab es auch. 🙂

ließen uns durch die Wartburg führen (auch sehenswert!),

schlenderten durch Eisenach (das darf man sich wirklich sparen) und überlegten, was wir die nächsten Tage machen sollten.

So ging es tags drauf zur Gedenkstätte Buchenwald.

Auch jetzt, mit einigem Abstand, fehlen mir immer noch die Worte, um das Gesehene in Worte zu fassen. Ich kann nur allen einen Besuch in diesem oder einem anderen ehemaligen KZ ans Herz legen. In der Schule oder zu anderen Gelegenheiten davon zu hören, ist etwas ganz anderes, als an einem solchen Ort zu stehen. Nie darf all das vergessen werden. Wir sollten alles dafür tun, dass sich die Geschichte niemals wiederholt!

Die restlichen Tage verbrachten wir in Weimar, Leipzig und Erfurt.

Zwiebelmarkt in Weimar
Altes Rathaus Leipzig
Neues Rathaus Leipzig
Krämerbrücke Erfurt

Die Städte gefielen uns richtig gut. Doch dann reichte es auch. Wir wollten tatsächlich nach Hause. Das war doch ein gutes Zeichen.

Nach und nach schauten wir uns dort die vielen Fotos und Videos an, die wir unterwegs gemacht hatten. Es war herrlich, die Reise und die durchwanderten Jahreszeiten dadurch noch einmal erleben zu können. In winzig kleinen Schritten wurde das Erlebte greifbarer. Aber wirklich nur in ganz, ganz winzig kleinen Schritten. Vor der Norwegenkarte in unserem Wohnzimmer zu stehen und unsere Wanderung mit diesem großen Land überein zu bringen, ist weiterhin schwierig. Es sieht nach wie vor einfach riesig und unmöglich aus. Bis auf die Tatsache, dass wir das alles gewandert sind. Es bleibt unglaublich!

Allmählich gewöhnten wir uns in unseren Alltag ohne Wandern ein. Der nächste Schritt, der vor uns lag, ließ uns allerdings nicht gerade vor Freude aufjubeln. Der Oktober ging zu Ende und das bedeutete: Tschüss Sabbatical! Hallo Arbeit!
Ohje, arbeiten… Wandern war doch eine tolle Alternative? Wir wären auch durchaus bereit, die Rucksäcke zu packen und wieder loszugehen. Ein paar Wochen hier waren zwar schön, reichen aber eigentlich auch.
Doch alles Jammern half nichts, am 30.10. ging es für Stefan wieder los und am 02.11. für mich. Das anfängliche „Was tue ich hier eigentlich und warum?“ verflog schnell und innerhalb kürzester Zeit fühlte es sich so an als wären wir nie weg gewesen.

Nur abends, wenn der Arbeitstag geschafft ist und wir wieder zusammen sind, kommt die Sehnsucht auf (ja, okay, zugegeben auch immer mal zwischendurch während der Arbeit). Wie schön es war, wie traurig es ist, dass die Zeit so schnell vorbeiging. Wie sehr wir die Freiheit und Ungebundenheit vermissen, insbesondere, wenn wir in unsere viel zu vollen Kalender blicken…

Schön war es auch, mit Silvio zu telefonieren. Auch wenn wir uns nur ein einziges Mal Ende Mai in Evje getroffen haben, haben wir immer mal wieder Kontakt zueinander gehabt. Das war richtig schön! Ganz kurz haben wir darüber nachgedacht, uns Silvios Silvesterplänen anzuschließen, aber im selbstgebauten Iglu auf dem Brocken zu schlafen, ist aktuell dann doch noch eine Spur zu abenteuerlustig für uns. 🙂

Wie geht es uns also?

Tatsache ist, dass die Fernwanderung etwas mit uns gemacht hat. Wir verarbeiten immer noch viele Eindrücke, jeder von uns beiden auf seine eigene Weise. Trotzdem hat einen der gewohnte Alltag sehr schnell wieder völlig in Beschlag genommen. Viel verändert hat sich hier nicht. Das haben wir auch nicht erwartet. Nur wir haben uns vielleicht ein kleines bisschen verändert – auch wenn wir dies (noch) nicht in Worte fassen können.
Simon Michalowicz schrieb uns auf die Frage, wann man das alles wohl richtig erfassen könne: „Das geht nie vorbei“ und ich befürchte, er hat recht.

Eins steht für uns jedenfalls fest: Das soll nicht unsere letzte Fernwanderung gewesen sein!
Wann, was und wie? Wenn wir uns etwas wünschen könnten, würden unsere Antworten „sofort“, „da haben wir schon ein paar Ideen“ und „Rucksack packen, Schuhe anziehen und losgehen“ lauten. Aber erstmal müssen wir wieder etwas arbeiten. 🙂
So planen wir statt mit einer großen Fernwanderung zunächst mit mehreren kleineren Touren. Der Jahresurlaub 2024 will schließlich genutzt werden. Wenn unsere Pläne funktionieren, haben wir ein Jahr mit einer bunten Mischung aus Wandertouren vor uns, auf die wir uns jetzt schon wahnsinnig freuen. Dass das alles noch Monate dauert, freut uns weniger. Aber die Zeit verfliegt zum Glück auch hier.

Auch wenn die Wanderung an sich beendet ist, haben wir immer noch viel zu tun. Das Bildmaterial will sortiert werden, ein paar kleine Ausrüstungsgegenstände müssen ersetzt werden, die Schlafsäcke befinden sich schon in der wohlverdienten Aufbereitung und und und… Zudem kommen nach und nach Anfragen von zukünftigen NPLern, denen wir nur zu gerne bei der Vorbereitung helfen. Wobei Stefan schon festgestellt hat, dass es noch mehr Spaß macht, sich selbst auf eine solche Tour vorzubereiten. 🙂 Wir sind aber trotzdem auch schon gespannt, einige der NPLer aus dem nächsten Jahr verfolgen zu können. Wir sind also im Prinzip noch gut mit der Nachbereitung beschäftigt, sofern es die Zeit zulässt. Und vielleicht zögern wir das alles extra auch noch ein bisschen hinaus, damit wir uns weiterhin mit NPL beschäftigen können.

Denn das war, ist und bleibt eine unvergessliche Zeit!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. DANKE für diesen Rückblick mit Ausblick! Die Zeltplätze waren ja traumhaft, naja, der mit der Baggerschaufel vielleicht auch ein bisschen besorgniserregend… 😉
    Der Zelthersteller sollte euch sponsern !!!
    Bin gespannt, wohin es beim nächsten Mal geht… 🥾

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