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Hardangervidda, Tag 8 bis 15

Tag 8, Pausentag

Nach dem Tag gestern bleiben wir bei unserem Beschluss, heute nicht zu wandern. Das ist vermutlich sinnvoll, da wir alle guten Vorsätze über Bord geworfen haben. Aber so ist das wohl mit guten Vorsätzen. Eigentlich wollten wir, wie an Tag 1, regelmäßige Pausen machen und in der ersten Woche nur kurze Etappen laufen, damit wir unseren Trainingsstand langsam aufbauen. Hat ja toll geklappt. 😉

Also planen wir heute richtig schön lange zu schlafen. Da genug Müdigkeit vorhanden sein sollte und die Nacht erst spät anfing, sprach alles dafür. Und dann sind wir beide trotzdem vor 7 in der Früh wieder wach. Die Zeit scheint sich einzurichten. Zumindest im Vergleich zu meiner normalen Weckzeit zu Hause ist das schon fast wie Ausschlafen. Wirklich wach sind wir beide nicht, aber schlafen geht auch nicht mehr. Der erste Blick aus dem Zelt verrät: Heute ist wieder Kaiserwetter! Keine Wolke am Himmel, Sonne pur.

Solange die aber noch nicht auf das Zelt scheint, bleiben wir einfach liegen. Ein bisschen juckt es uns trotz des Vortages in den Fingern oder eher in den Beinen, doch weiterzulaufen. Aber die Vernunft siegt.

Stattdessen nutzen wir den Tag für andere wichtige Sachen. Stefan kümmert sich darum, dass der Reisebericht der ersten Woche in eine ansehnliche Form gebracht wird und die passenden Fotos dazu eingebettet werden. Das frisst eine ganze Menge Zeit. Die Routine, sowas von unterwegs zu machen, fehlt da nämlich noch. Zum Glück bin ich nicht für den technischen Part verantwortlich. Stefan bleibt deshalb sehr lange im Zelt, da man draußen auf dem Handydisplay wahrscheinlich kaum was erkennen könnte. Das Zelt verwandelt sich derweil in eine Sauna. Stefan nimmt es mit Humor und genießt nun quasi seine erste norwegische Sauna. Nur der Aufguss fehlt. Wäre auch nicht so gut für die Technik. Ich flüchte dann doch lieber nach draußen und habe Glück. Die Mücken haben entweder auch Pausentag oder finden es einfach zu heiß zum rumschwirren. Ich kann beides verstehen und freue mich, bei der Sonne ohne Jacke im Gras sitzen zu können.

Um das gute Wetter auch sinnvoll zu nutzen, wasche ich erst ein bisschen Wäsche und anschließend mich. Ein herrliches Gefühl! Das hält ca. drei Minuten an. Dann wird es Zeit für Sonnencreme. Sauberkeit ist auf Wanderungen leider immer ein relativer Zustand. Zwar lädt der See auch wirklich zum Schwimmen ein, aber die Temperatur empfiehlt, doch lieber nur auf das schöne Nass zu schauen. Insgesamt verfliegt die Zeit erstaunlich schnell. Erst spät am Nachmittag schaffen wir es erneut zur Trolltunga. Da sind die großen Touristenströme aber schon weg. Es ist nicht mehr los als am Abend zuvor. Den Tag über konnten wir jedoch ein reges Treiben auf dem Zuweg beobachten. Ich nutze die kurze Wartezeit und lasse Stefan noch ein paar Einzelfotos von mir auf der Trolltunga machen.

Er selbst will keine und versucht lieber, ein paar Fotos ohne Menschen zu ergattern. Da heißt es, den richtigen Zeitpunkt anzupassen, wenn gerade jemand von der Spitze weggeht und der oder die nächste gerade noch nicht losläuft. Um unseren Füßen mal eine Pause vom Wanderschuh zu gönnen, gehen wir den Weg mit unseren Barfußschuhen. Das klappt ganz wunderbar und macht auch Spaß. Als wir zurückkommen, ist es Zeit für das Abendessen. So ganz hungrig sind wir nicht, aber wir können ein bisschen Energie für den nächsten Tag gebrauchen. Die Mücken schließen sich unserem Zeitplan an und suchen ebenfalls nach etwas Essbarem. Trekkingnahrung reizt sie leider nicht. Aber ich würde ohnehin nichts abgeben. Wir ziehen einfach unsere Regenjacken über und schon ist die Gefahr so gut wie gebannt. Morgen wollen wir zeitig los. Wir freuen uns schon. Gleichzeitig umtreibt uns aber auch die Sorge um die Schneefelder. Das vor unserer Zelthaustür ist heute teilweise schon ganz schön abgesackt. Dennoch wollen wir uns nicht entmutigen lassen und haben den Plan, es erstmal zu versuchen. Sollten die Felder doch zu kritisch sein, heißt es Rückzug und dann einen neuen Plan machen.

Achja, und eine wichtige Sache habe ich dank Internet rausfinden können: Das kleine Tier, das aussah wie eine Mischung aus Maus und Wiesel ist – tadaa – ein Mauswiesel. Ja wirklich! Schaut es euch mal an 😀

Tag 9, Wandertag 6

Ich wache mitten in der Nacht auf und bin schlagartig hellwach. Stefan sitzt auf seiner Matte und ich denke, es ist etwas passiert. Aber nein, er muss nur mal eben austreten. Schlafen kann ich nicht mehr wirklich und bin kurz davor, einfach aufzustehen. Auch wenn es erst halb 5 ist. Hell ist es ja sowieso. Irgendwann schlafe ich aber wieder ein und wache erst gegen halb 8 auf. Das war nochmal gut. Aber warum ist das Zelt plötzlich so nass? Stefan ist schon wach und begrüßt mich mit der Empfehlung, besser nicht aus dem Zelt zu gucken. Ich mache es trotzdem und sehe… nichts. Nur graue Suppe, soweit das Auge reicht. Na wunderbar.

Das sind tolle Voraussetzungen für den Weg, den wir uns vorgenommen haben.

Wir frühstücken erstmal. Heute gibt es Overnight Oats (wow!). Tatsächlich haben wir einfach gestern Abend schon Wasser auf die Haferflocken gekippt, damit sie über Nacht quellen und wir kein Wasser erhitzen müssen. Aber auf Englisch klingt das natürlich viel cooler.

Nach so vielen gemeinsamen Jahren kennt man sich irgendwann tatsächlich recht gut und so bemerke ich Stefans zögerliche Stimmung, ohne dass er etwas sagen muss. Wir packen ein bisschen und dann, als er gerade anfangen will zu sprechen, frage ich ihn, ob er den geplanten Weg tatsächlich gehen will. Stefan antwortet schlicht mit „Nein“. Kurz und schmerzlos. Die Wettervorhersage ist miserabel, auch wenn wir der natürlich nur eingeschränkt glauben können. Hinzu kommt, dass Stefan genauere Infos zu der geplanten Strecke gefunden hat. Sie ist, wie die vorherig auch, als schwarze, also sehr anspruchsvolle, Strecke bezeichnet und beinhaltet mehrere komplizierte Furten. Sollten die aufgrund des Wasserstandes nicht möglich sein, müsste man zwangsläufig über Schneefelder ausweichen. Nach einer Woche intensiver Sonne werden beide Optionen sehr schwierig, mitunter gefährlich sein. Das Risiko gehen wir hier und jetzt nicht ein. Also wird neu geplant. Heute geht es 14km bis zum mittleren Wanderparkplatz und von da aus mit dem Shuttlebus in den nächsten Ort, Tyssedal. Das Hotel ist im Sonderangebot für 200€ pro Nacht zu bekommen. Da überlegen wir nicht lange und schlagen bei diesem Schnäppchen natürlich sofort zu. Einen Campingplatz gibt es nämlich nicht, ein Mehrbettzimmer im Hostel wollen wir wirklich nicht mehr und wir brauchen den Ort leider als Ausgangspunkt für die weitere Reiseplanung. So starten wir denn um viertel vor 11 im dichten Nebel.

Mein interner Musikplayer hat heute den PUR Hitmix im Angebot. Ich bin eindeutig viel zu nüchtern dafür und möchte weinen. Als Verwarnung packe ich Handy und Kopfhörer in greifbare Nähe für die Wanderung. Es dauert eine Weile, dann kommt die Warnung oben an und die Musikauswahl wird besser. Auch ohne Technik. Passend dazu beschäftigt Stefans Kopfradio sich heute mit der Frage, wo die Indianer alle hin sind. Manchmal ist es gruselig, wie sehr sich unsere (auch seltsamsten) Gedanken ähneln.

Zum dritten Mal geht es rauf zur Trolltunga, nur nehmen wir dieses Mal die Abbiegung auf den Wanderweg, statt zum Aussichtspunkt. Uns kommen trotz des Wetters Mengen von Menschen entgegen. Es ist unglaublich! Der Weg ist dementsprechend breit und massiv ausgetreten. Dadurch stechen die Felsen besonders hervor und erschweren das Laufen. Immer mal wieder lichtet sich der Nebel und steigt dann wieder in typischen Nebelschwaden an.

Wir sind ganz begeistert von dem Blick auf das Bergmassiv, an dem von unserem Standort aus die Trolltunga kaum zu erkennen ist. Nur die vielen kleinen bunten Punkte rundherum lassen uns den kleinen Felsvorsprung einordnen. Gefühlt sind hier sämtliche Weltnationen vertreten, aber natürlich auch einige Deutsche. Wir kommen nicht umhin, ein Gespräch von ein paar jungen Männern zu hören, die nur wenige Meter neben uns stehen. Sie beratschlagen offenbar die Wettersituation und einer ist der Meinung, dass es bei dem Nebel ja total unsinnig sei, zu so einem Felsen zu gehen. Grundsätzlich mag man die Haltung nachvollziehen können, doch stehen wir hier aktuell höchstens einen Kilometer vom Ziel entfernt. Das heißt, er ist bereits 13km gelaufen und denkt nun darüber nach, wieder zu gehen. Zu dem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, was für ein Weg das ist. Das macht es im Nachhinein noch verrückter. Auf solche Ideen muss man erstmal kommen. Wir schütteln ein bisschen mit dem Kopf, gehen ein paar Schritte weiter und genießen die Aussicht erneut UND DANN GEHT DER TATSÄCHLICH ZURÜCK! Ich kann es immer noch nicht glauben. Dabei müssen die Bilder heute fantastisch aussehen, mit den Nebelschleinern im Hintergrund.

Wir setzen unseren Weg auch fort und finden ihn tatsächlich landschaftlich sehr schön. Man hat tolle Blicke auf die Berge rundherum und da sich der Nebel zusehends lichtet, wird die Aussicht immer besser (muss der sich geärgert haben!). Wir schmunzeln immer mal wieder, wie ausgebaut und extrem markiert der Weg ist. Es gibt ständig Brücken für die kleinsten Bäche, Pfeiler an jeder eventuell uneindeutigen Stelle und regelmäßige Hinweisschilder. Bei den Menschenmassen um uns rum ist das allerdings auch wirklich sinnvoll. Durch die Länge der Strecke und die Beschreibung als schwer und anspruchsvoll werden sicherlich schon viele potentielle Besucher abgehalten, aber auch jetzt sehen wir immer wieder Leute, die am Ende ihrer Kräfte zu sein scheinen. Das wird sich auch bis kurz vor den Ausgangspunkt, also unserem Ziel, nicht ändern. Und auch wir finden es streckenweise sehr anstrengend. Das liegt aber auch daran, dass die Wege besuchertauglich auf- und ausgebaut sind. Der Abstieg ist besonders herausfordernd für unsere Knie. Es wurde, scheinbar vor nicht allzu langer Zeit, ein komplett neuer Zuweg erschlossen. Damit dieser gut begehbar ist, besteht er im Hauptanstieg aus Stufen, die aus einzelnen Felsblöcken zusammengesetzt sind.

Das geht total auf die Gelenke und macht nur mittelmäßig Spaß. Zwei Personen versuchen zunächst mit ihren E-Mountainbikes den Aufstieg. Die sehen wir aber recht zügig unten wieder. Danach ist man plötzlich in einem halben Ferienort angekommen. Es stehen jede Menge Häuser in der Landschaft. Theoretisch ein schöner Platz, aber das wären mir für ein Sommerhaus in Norwegen dann doch zu viele Nachbarn und vor allem Tagestouristen. Nach einigen Stunden haben wir den ersten möglichen Parkplatz erreicht. Von dort bringt einen bei Bedarf (und nach Bezahlung natürlich) ein Shuttlebus zum nächsten Parkplatz. Wir laufen aber lieber. Ab hier geht es nämlich ganz einfach über die Straße den Berg hinab. Das bringt richtige Entspannung nach den letzten Stunden.

Auch wenn es nun schon deutlicher Nachmittag ist, kommen uns weiterhin regelmäßig Leute entgegen, die noch zur Trolltunga hoch wollen. Unser besonderes Mitleid gilt dem Dackel, der von einem Pärchen mitgebracht wird. Das kann für die kurzen Beinchen nur eine Tortur werden… Am Hauptparkplatz angekommen ist es ungefähr 15.30 Uhr. Der nächste Shuttlebus hinunter in den Ort würde in einer Stunde kommen. Wir kaufen uns als Belohnung ein Eis und ein Getränk und verspeisen beides an einem Picknicktisch. Dann ist es 16 Uhr.

Tja, was soll ich sagen? Wenig überraschend beschließen wir, nicht auf den Bus zu warten und die verbleibenden 7km einfach noch zu laufen. Wir haben heute beide ein komisches Gefühl und auch ein bisschen verhaltene Laune. Da wir ein Hotel gebucht haben, kommt es uns wie ein erneuter Pausentag vor. Was natürlich totaler Quatsch ist, schließlich sind wir schon jetzt 14km und nicht unerhebliche Höhenmeter gelaufen. Wenn wir jetzt noch den Bus nehmen würden, käme uns das endgültig wie Schummeln vor. Außerdem fühlen wir uns noch fit für die weiteren Kilometer. Und die lohnen sich wirklich! Die Berge um uns rum sind grandios anzusehen und dann kommt tatsächlich wieder die Sonne raus und alles strahlt noch ein bisschen schöner.

Das absolute Highlight ist der Blick auf Tyssedal. Okay, also nicht auf den Ort an sich, aber auf den Fjord an dem er liegt, der Sørfjord. Da lasse ich lieber ein Foto sprechen.

Nach 21,5km sind wir an unserem Ziel angekommen. Das Hotel ist im Eingangsbereich gemütlich eingerichtet und beim Check-in wird uns direkt die Karte für das Abendessen gezeigt. Ein sehr kluger Schachzug, der bei uns hungrigen Wanderern natürlich voll und ganz zieht.

Aber im Moment sind wir noch nicht gesellschaftstauglich. Da trennt uns mindestens eine lange Dusche von. Also rauf ins Zimmer. Das Zimmer besticht unmittelbar durch seinen umwerfenden 70er Jahre Charme. Die dunklen Holzdecken, die Holzwände und Türen, selbst die viereckige Holzlampe mit Gitteroptik lassen unsere Herzen höher schlagen. Auch die Schalter und Stromleitungen sind originalgetreu.

Für einen gewagten Stilbruch sorgt hingegen der Vorhang, der mit seinem wilden Muster an die 90er Jahre erinnert.

Das Bad strahlt in klassisch gefliestem marmoriertem Weiß an den Wänden und Blau auf dem Boden.

Aber es ist für ein Hotel wirklich riesig und hat ein Fenster! Perfekt! So können wir nachher das Zelt aufhängen, damit es trocknen kann. Und das Wichtigste ist, dass wir ein sauberes Zimmer haben. Da gibt es keine Staubspuren der letzten Jahrzehnte. Und jetzt müssen wir auch ehrlich sein, was soll man für so einen Preis schließlich erwarten? 😉 Deshalb ist das Hotel sicherlich auch so gut besucht. Zumindest hören wir viele unserer Mitbewohner auf Schritt und Tritt.

Nach einer ausgiebigen Dusche sind wir an Armen, Hals und Nacken immer noch braun gebrannt. Also nicht nur sehr viel gesammelter Dreck. Wir fühlen uns wie neu geboren und halten uns nun für erträgliche Gesellschaft. Zumindest was den Geruch angeht. Optisch stellen die schlammigen Wanderhosen leider weiterhin kein Highlight dar, aber eine brauchbare Alternative gibt die Kleiderkammer nicht her. Also los ins Restaurant. Die Speisekarte lässt vermuten, dass wir in einem guten Restaurant gelandet sind. Wir finden keine Sauce Hollandaise und sind froh, dass das Speisenangebot offenbar seit den 70ern weiterentwickelt wurde. Zunächst gibt es ein leckeres Bier.

Kurz darauf auch das Essen. Es sieht fantastisch aus, nur irgendwie etwas wenig. Aber häufig sind die Augen größer als der eigentliche Hunger und dann passt das schon. Heute allerdings nicht. Das Essen ist so, wie es aussieht, super! Aber davon wird die Menge nicht mehr. Während Stefan sich hungrig an sein Bierglas klammert und überlegt, ob es sinnvoller ist, noch einen neuen Hauptgang zu bestellen oder doch ein Dessert zu nehmen, suche ich per GoogleMaps nach einer Pizzaria mit Lieferdienst. Wir sind hier offensichtlich auf eine Marktlücke gestoßen, denn es gibt schlicht und einfach keine. Und wer nun meint, wir könnten hinlaufen, nein, auch das geht nicht. Denn erst im nächsten Ort wäre eine Pizzaria. 5km pro Weg. In unserem jetzigen Zustand wären wir zwar durchaus gewillt die zu laufen, nur geht der Großteil durch einen Tunnel und das sparen wir uns dann doch lieber für den Nordkapptunnel auf.

Und dann entscheiden wir uns für die günstigste Variante: Noch ein Bier. Zwei Bier sind in Norwegen umgerechnet nämlich auch locker zwei Schnitzel pro Person und das macht ja auch irgendwie satt. Und nach einer Woche wandern ist das auch noch höchst effektiv. Zwar nicht, um danach die weitere Reise sinnvoll zu planen, aber um sich gegenseitig viel Unsinn zu erzählen und abenteuerliche Pläne zu schmieden. Bevor wir tatsächlich auf die Idee kommen noch ein drittes Bier zu bestellen, bezahlen wir lieber und verschwinden auf unser Zimmer. Taktisch klug füllen wir den Wunsch nach Essen und unseren Alkoholpegel mit Whisky-Sahne-Trüffeln auf. Ein Hoch auf die gerettete Osterschokolade!

Und dennoch planen wir um 22.30 Uhr noch die weitere Route. Und entdecken dabei ein weiteres Zimmerhighlight: Auf jeder Bettseite steht ein Nachtisch mit kleiner Stehlampe. Soweit normal. Anschalten kann aber nur ich meine, da es auf Stefans Seite keine Steckdose gibt. Da liegt das Kabel stattdessen einfach nur dekorativ auf dem Boden. Gegen halb 1 sind wir unendlich müde, aber zufrieden mit dem neuen Plan.

Morgen geht es mit dem Bus nach Dyranut und von dort aus knapp zwei Wochen durch die Hardangervidda bis nach Finse. Wir weichen dabei gar nicht mal so wahnsinnig von unserem ursprünglichen Plan ab, starten nur von der anderen Seite neu und lassen ein Stück mit zu viel Schnee aus. Was für ein Tag!

Tag 10, Wandertag 7

Wir haben uns einen Wecker gestellt, damit wir das Frühstück nicht verpassen. Aber wir sind wieder früher wach. Na gut, dann bleibt mehr Zeit für das Frühstück. Wir hoffen auf ein Buffet und haben Glück. Allerdings liegt die Kompetenz des Hotels/Restaurants wohl eher beim Abendessen. Was den Brötchen an Bräunung fehlt, mach der Salat locker wett. Wir wollen unseren Körper aber auch nicht zu sehr mit frischem Gemüse verwöhnen, nachher kommt der noch auf dumme Gedanken. So gibt es stattdessen einfach Brötchen und Brot mit Belag und ich esse noch ein Müsli. Trotz unseres ausgehungerten Zustandes gestern, können wir nicht übermäßig viel essen. Wie man es auch macht… Nach dem Frühstück schauen wir uns noch kurz in den weiteren Räumen um. Überall hängen Kunstwerke, die alte Szenen aus dem norwegischen Landleben oder Folklore darstellen. Uns gefallen besonders die Gemälde von Nils Bergslien, der sich kritisch mit den Eingriffen des Menschen in die Natur auseinandersetzt. Und das schon vor ca. 100 Jahren.

Anschließend genießen wir jeder noch eine lange und heiße Dusche. Wer weiß, wann es die nächste gibt. Dann packen wir und laufen ein paar Meter zum Einkaufsladen. Wir müssen noch kurz warten, dann öffnet er um 12 Uhr. Wir brauchen ein bisschen Nachschub für das Frühstück und ein paar Snacks für Zwischendurch. Außerdem wollen wir unseren Vorrat an Sonnencreme und Mückenschutz aufstocken. Der Tante Emma Laden verkauft auch beides. Für jeweils knapp 17 Euro. Das finden wir ganz dezent übertrieben und kaufen nur die Sonnencreme. In Anbetracht des angekündigten Starkregens heute erscheint uns das die sinnvollere Wahl. 😂

Kaum sind wir aus dem Laden raus, begrüßt uns der Regen. Ausgerechnet bei sowas muss die Wettervorhersage stimmen… Der Bus verspätet sich etwas und da wir einmal umsteigen müssen und zwischen den Bussen nur zwei Minuten Wechselzeit besteht, werden wir etwas nervös. Als wir den Busfahrer fragen, ob wir den zweiten Bus denn kriegen können, antwortet er achselzuckend: „Vielleicht“. Na danke. Dafür kostet die rund zweistündige Busfahrt für uns beide zusammen nur erfreuliche 8 Euro. Es ist nicht alles teuer in Norwegen.

Kurz vor dem ersten Zwischenstop erleben wir noch eine kleine Besonderheit. Wir fahren durch einen Kreisverkehr im Bergtunnel. Das ist selbst in Norwegen einmalig. Der Anschlussbus ist anscheinend auf Verspätungen eingestellt und wartet. Wir steigen ein und sind direkt entspannt, dass wir unsere Wanderung nun wie geplant fortsetzen können. Als wir in Dyranut ankommen, hat der Regen freundlicherweise aufgehört. Wir ziehen uns dennoch wetterfest an, da die Wolken düster sind.

Als wir auf den Wanderweg starten, wünscht uns eine Frau viel Glück. Ich bin mir unsicher, ob das ein freundlicher Gruß ist oder ob ich mir besser Sorgen machen sollte.

Der Weg stellt sich für den heutigen Tag aber als einfach raus. Das trifft sich gut, da meine Beine noch sehr müde vom gestrigen Tag sind. Die 1400 Höhenmeter abzusteigen war wohl doch anstrengend für die Muskulatur… Theoretisch könnten wir also völlig entspannt laufen und mal richtig gut vorankommen. Da das ja total langweilig wäre, bläst uns zur besseren Unterhaltung pausenlos ein extremer Wind ins Gesicht. Wir sind froh, über eine weite Ebene zu laufen und nicht an irgendwelchen Hängen, da uns so trotz Wind nicht viel passieren kann. Andererseits gibt es natürlich auch keinerlei Windschutz. Nach kurzen 8 Kilometern erklären wir den Wandertag für beendet und versuchen eine möglichst windgeschützte Ecke zu finden. Das gelingt uns eher mittelmäßig, aber wir sind zufrieden.

Pünktlich zum einsetzenden Regen sitzen wir im Zelt. Ich portioniere als erstes das Frühstück für die nächsten Tage (es gibt Haferflocken mit Rosinen) und dann wird gegessen. Viel mehr passiert nicht mehr. Wir hören noch ein bisschen Podcast (Psychologie to go) und dann schlafen wir. Endlich wieder im Zelt. Uns kommt es heute nämlich so vor, als wäre das letzte Mal ewig her. Verrückt, was so eine einzelne Hotelnacht ausmacht.

Tag 11, Wandertag 8

Die Nacht ist gut. Ich werde einmal vom Regen geweckt, schlafe dann aber wieder ein und plötzlich ist es schon nach 8 Uhr. Stefan ist bereits wach, aber auch noch nicht so ganz motiviert. Ich brauche ein bisschen, um die Augen richtig öffnen zu können. Beim Strecken merke ich meine Beine ganz gut. Da hat die kurze Strecke gestern wohl nicht als Pause gereicht. Es regnet immer mal wieder. Unsere Motivation war schon mal größer. Um viertel nach 10 haben wir dennoch alles gepackt und machen uns auf den Weg.

Erstmal ist es regenfrei, der Wind vom gestern bläst aber unverändert. Am liebsten frontal von vorne, gelegentlich von der Seite und nie von hinten. Nach Süden laufen ist windtechnisch wohl eher die falsche Richtung. Aber zumindest kann ich meine Windjacke austesten. Die nutze ich sonst nur beim Radfahren und hatte sie bisher im Rucksack. Das geht ja nicht! Und sie bewährt sich bestens. Etwas dünner als die Regenjacke und trotzdem wärmend. Die kommt nächstes Jahr mit!

Immer mal wieder blitzt sogar kurzzeitig die Sonne durch. Der Weg ist heute wieder total einfach zu gehen. Zuerst folgen wir dem normalen Wanderweg und dann einer breiten Straße, die einem Feldweg ähnelt. Da es ein paar Ferienhäuser in der Umgebung gibt, wird die Straße auch von Autos genutzt. Die sehen wir heute aber nicht. Stattdessen sind wieder einige Wanderer unterwegs. Die Wege wirken allesamt so, als wäre dort generell mit mehr Wanderbetrieb zu rechnen. Es gibt regelmäßig Brücken oder Holzbohlen, teilweise sind sogar sumpfige Stellen mit Brettern ausgelegt. Das kennen wir sonst nur aus Schweden. Die Norweger sind da eher pragmatisch veranlagt, so nach dem Motto: „Wer hier laufen will, muss mit den Umständen klarkommen“. Wir genießen den Luxus, sparen wir uns so doch einiges an Sumpf.

Heute machen wir tatsächlich nach ungefähr jeder Stunde eine Pause. Nach der ersten Stunde hakt die Motivation immer noch. Wir beschließen beide, uns mit Musik oder Podcast abzulenken. Mit Hagrids Hütte auf den Ohren (oder eher einem Ohr, ich will meine Umgebung schließlich noch hören) geht es etwas besser, aber wesentlich lockerer läuft es noch nicht. Wieder eine Pause weiter entscheide ich mich, Podcast gegen Musik zu tauschen und damit platzt der Motivationsknoten. Hat mir das gefehlt! Gut anderthalb Wochen keine Musik. Normalerweise undenkbar. Ich lege ordentlich an Tempo zu und freue mich über die bunte Mischung auf meinem Ohr. Trotz des Gegenwindes kommen wir zügig voran und sind um 15.30 Uhr schon an der Sandhaug-Hütte, nach 16km.

Wir gönnen uns eine Pause an der voll bewirtschafteten Hütte. Waffeln gibt es auch hier nicht, also bestellen wir ein Sandwich. Die Bedienung beschreibt es als irgendwas mit Fleisch und Ei, also rechnen wir mit einem gut belegten Brötchen. Daher sind wir überrascht, als das Essen kommt. Unser Sandwich besteht aus einer Scheibe Brot mit einer Frikadelle, darauf ein Spiegelei. Garniert wird das Ganze von ein paar Scheiben Tomate und Gurke. Wir freuen uns über die unerwartete Zwischenmahlzeit. Lecker! Das Sofa, auf dem wir sitzen, ist sehr gemütlich. Aber uns ist es noch zu früh zum Aufhören, also ziehen wir zügig unsere Schuhe und inzwischen auch Regenkleidung an und wollen weiter.

Und dann entdecke ich etwas, was mich jubeln lässt. Vor der Hütte liegt eine herrenlose Flasche Autan! Da haben wir uns gestern wohl richtig entschieden, als wir kein Mückenmittel gekauft haben. Die Flasche wandert sofort in meinen Rucksack. Manche Dinge fügen sich halt von selbst.

Kurz hinter Sandhaug queren wir über zwei Brücken einen Fluss, der zu dem großen See vor Ort gehört.

Die Brücken sind so toll konstruiert, dass man nicht nur während der Überquerung sondern auch noch viele Meter danach das Gefühl hat, bei jedem Schritt zu schwanken. Stefan fühlt sich direkt ermuntert, wieder einen Ballermann-Hit anzustimmen. Zum Glück höre ich aber nach wie vor Musik und kann das gekonnt überblenden.

Wir wissen, dass nach der Sandhaug-Hütte zeitnah die Besso-Hütte kommt. Unser Plan ist es, kurz dahinter zu zelten. Nach guten 20km sollte es dann reichen. Offenbar gehen die meisten Leute aber nicht weiter, denn plötzlich hört der Weg-Luxus auf und nun dürfen wir uns selbst Wege durch die Sumpflandschaft suchen.

Immer wieder kommen dicke Regenschauern. Der Boden steht ordentlich unter Wasser. Nach fünf Kilometern können wir die Besso-Hütte sehen.

Nun ereignet sich in meinem Körper folgendes Schauspiel: „Kopf an Körper, Kopf an Körper! Hütte erreicht. Ab jetzt nicht mehr lange wandern. Tagesziel erreicht. Over.“ Der Körper beschließt daraufhin AUGENBLICKLICH müde zu werden und diverse Stellen zu finden, die weh tun. Vorzugsweise Schultern, Beine und Füße. Das passiert grundsätzlich, sobald man in die Nähe des erwarteten Kilometerziels kommt. Ganz egal, ob es 7 oder 35 Kilometer sind. Da wir uns aber weiter in Sumpfhausen befinden, müssen wir erstmal einen geeigneten Zeltplatz finden, noch dazu mit Wasseranschluss (wie Georg, Stefans Vater, sagen würde). Wasser ist reichlich vorhanden, allerdings nicht nur im See, sondern auch an jeder Stelle, die für unser Zelt theoretisch passen könnte. Also immer weiter. Der Kopf macht das gut mit und bleibt entspannt, der Körper zeigt sich aber weniger flexibel und mutiert zum nörgelnden Kleinkind. „Ich bin müde, ich will nicht mehr, wie lange nooooch?“ sind ein paar der vorhandenen Sprüche, die er auf Lager hat. Als kleinen Zusatz dürfen wir auch endlich wieder zwei Schneefelder queren. Die sind aber sehr klein und sehr fest. Und dann finden wir doch noch eine Stelle für das Zelt. Nach nunmehr 25 gelaufenen Kilometern wächst das Bedürfnis nach Feierabend im gleichen Maße, wie die Ansprüche an den Zeltplatz sinken. Sagen wir so: Das Zelt passt hin, Wasser ist in wenigen Metern zu erreichen und bestimmt sind wir so müde, dass wir die Schräglage gar nicht mehr richtig bemerken… hoffen wir jedenfalls sehr.

Stefan sucht sich zum Abendessen Kartoffelpürree mit Linsen aus, für mich gibt es Nudeln in Knoblauch-Parmesan-Soße. Beim ersten Löffel merke ich, dass ich die Knoblauchdosierung beim Zusammenstellen der Gerichte eventuell etwas übertrieben habe. Zum Glück mag ich Knoblauch sehr gerne und so müssen wir uns in dieser Nacht erst recht keine Sorgen vor unliebsamen Besuchern machen. Meine Knoblauchfahne riecht man garantiert noch in einem weiten Umkreis.

Tag 12, Wandertag 9

Die Schräglage war tatsächlich nicht allzu störend. Zu den Füßen hin konnten wir sie gut ausgleichen und seitlich hatte nur Stefan einen leichten Drang nach links hin zu meiner Seite. Er hat mich aber in der Nacht zum Glück nicht überrollt. Gegen 1 Uhr in der Nacht hatte der Wind aufgefrischt. Aber mit Oropax war die restliche Nacht gut auszuhalten. Wir sind relativ früh wach, wollen aber nicht aus den warmen Schlafsäcken raus. In der Nacht hatten wir 6°C im Zelt. Das bemerken wir aber nicht. Im Schlafsack ist es kuschelig warm. Immer mal wieder fegt leichter Regen über unser Zelt.

Stefan möchte sich heute morgen nur auf Abstand mit mir unterhalten. Angeblich atme ich eine dezente Knoblauchnote aus. Ich leugne das standhaft (obwohl es mir so vorkommt, als hätte ich die Nacht über auf einer kompletten Koblauchknolle rumgekaut).

Wir kuscheln uns nochmal so richtig ein und dösen bis 10 Uhr. Das wird wohl eher ein später Start heute. Damit ich wirklich wach werde, starte ich mit einer unfreiwilligen Frühsporteinheit. Beim Wasser kochen lasse ich kurz den selbstgebastelten Windschutz für den Kocher los und weg ist er. Unser Platz liegt oberhalb eines Sees und ich sehe den Windschutz schon auf nimmer Wiedersehen davon fliegen. Mit mehr Glück als Verstand renne ich über die abschüssigen Felsen hinunter zum See und erwische den Windschutz gerade noch. Das reicht dann bitte an Aufregung für heute.

Das lange Rumliegen hat sich aber bezahlt gemacht, da wir eine lange Schauer abgepasst haben und nun regenfrei starten können. Die letzten beiden Tage dachte ich, es sei windig gewesen. Doch heute hat der Wind eine neue Dimension angenommen. Er gibt wirklich alles, um uns zu Fall zu bringen. Wir müssen uns immer wieder mit aller Kraft gegen den Wind stemmen, um weitergehen zu können. Das zerrt schnell an den Kräften. Und kalt ist es noch dazu. Zumindest, bis man sich warmgelaufen hat. Das dauert heute leider etwas länger. In mir schwebt kurz der Gedanke Handschuhe anzuziehen, aber den verwerfe ich dann doch zügig. Nötig sind die eindeutig noch nicht, wenn denn die Hände warm geworden sind. Den ersten Kilometer über fühlen sie sich eher an wie Eisklötze. Zumindest riskiere ich damit nicht, meine Wanderstöcke zu verlieren, denn aus der Griffhaltung kommen meine Hände so schnell nicht mehr raus. Ich versuche mich wieder mit Musik bei Laune zu halten. Das klappt heute nur mittelmäßig. Auch Stefan hat ordentlich mit dem Wind zu kämpfen. Wir sind froh über eine erste Pause nach gut einer Stunde. Einen geeigneten Platz zu finden, bei dem man mal fünf Minuten Windpause hat, ist aber nicht leicht. Und frisch ist es dennoch.

Die Pause fällt also kurz aus. Und sobald man aus der geschützten Ecke kommt, peitscht einem der Wind direkt wieder um die Ohren. Ohje, das soll was werden. „This storm is beautiful“ singt mir da plötzlich Justin Sullivan ins Ohr und ich muss unwillkürlich grinsen. Auch eine Sichtweise. „So today is a good day!“ singt er weiter. Na gut, da gehe ich einfach mal mit. Es regnet nicht, der Weg ist ganz gut zu gehen und so ändert sich meine Haltung um 180 Grad und die Laune steigt erheblich. Da macht mir der Wind gleich viel weniger aus. Stefan hört aber offenbar andere Musik als ich, denn seine Laune sinkt Stück für Stück. Er sieht mich ziemlich ungläubig an, als ich ihm sage, dass es mir total gut geht und ich locker weiterlaufen kann.

Nur bei den Flussquerungen müssen wir heute, Laune hin oder her, besonders aufpassen. Überall liegen genug Steine, so dass man keine nassen Füße bekommt. Da man aber nie weiß, ob der nächste Stein wackelt oder rutschig ist, ist Vorsicht geboten. Wenn einen dann genau in dem Moment eine Windböe erwischt, sieht es schlecht aus. Wir brauchen also ein bisschen länger und verharren teilweise mitten im Fluss auf einem Stein, bevor der nächste angegangen werden kann.

Bei der zweiten Pause ist Stefans Stimmung ganz am Boden. Sein linker Fuß macht ihm totale Probleme. Jeder Schritt schmerzt. Da hätte ich auch keinen guten Tag, kein Wunder. Dennoch beschließen wir, weiter bis zur Litlos-Hütte zu gehen. Die kennen wir schon von letzter Woche und nehmen dort nun quasi fast den ursprünglichen Weg wieder auf.

Ich vermute, dass wir an der Hütte enden werden, so wie es Stefan geht. Irgendwann entscheidet mein einer Kopfhörer, dass er nicht mehr richtig funktionieren will. Die Musik ist nur noch sehr leise zu hören. Da ich zum Laufen ohnehin nur einen benötige, nehme ich den anderen. Der funktioniert noch. Vielleicht lässt sich der Fehler heute Abend im Zelt beheben.

Auf den letzten fünf Kilometern holt der Sturm dann nochmal ungeahnten Schwung und zerrt allmählich nicht mehr nur an Kleidung und Rucksack, sondern auch an meinen Nerven. Ende mit beautiful Sturm. Sowas von. Zudem stellt Stefan fest, dass wir laut Planung eigentlich nur 230 Höhenmeter gehabt hätten. Da waren wir dann allerdings schon bei über 800 gelaufenen Höhenmetern. Ich fühle mich so langsam ganz schön kaputt. Stefan blüht hingegen auf, weil sein Fuß nicht mehr schmerzt. Wahrscheinlich war der Schuh falsch geschnürt. Wenn man das mal immer direkt wüsste.

Irgendwann sagt Stefan, dass jetzt nur noch eine Sportplatzrunde an Strecke vor uns liegt. Also noch 3,4 Kilometer. Die Sportplatzrunde gehen wir zuhause, wenn wir nicht so richtig motiviert zum Laufen sind. An einem Bach holt Stefan neues Wasser. Das schmeckt aber komisch, also sofort weg damit. Ich entscheide, dass wir bis zur Hütte einfach durchlaufen und keine Trinkpause mehr machen. Eine eher dumme Entscheidung, da wir bisher kaum etwas getrunken haben. Auf den nächsten Metern wird mir prompt etwas schummerig, so dass der nächste Bach doch genutzt wird. Besser! Meine einzige Motivation ist nun in der warmen Hütte zu sitzen und etwas Warmes zu essen.

Doch als wir die Hütte betreten, erfahren wir, dass ab halb 5 nur noch ein Abendessen bestellt werden kann. Nein danke, das haben wir selbst dabei. Ich ärgere mich total. Es ist jetzt 17 Uhr und damit ja wohl noch viel zu früh für’s Abendessen. Stattdessen essen wir eine Tüte Chips. Die helfen gegen den Pausenhunger aber nur wenig. In der Hütte ist viel los und wir wollen noch ein bisschen weiter, um einen schönen Zeltplatz zu finden. Auch das dauert noch eine Weile, aber dann stehen wir sogar einigermaßen windgeschützt.

Heute waren wir knappe 20 Kilometer unterwegs. Die Höhenmeter und vor allem der Wind haben uns aber ganz schön fertig gemacht. Für die nächsten Tage ist bestes Wetter angekündigt. Sonne und so gut wie kein Wind. Wir hoffen inständig, dass das auch so eintrifft.

Tag 13, Wandertag 10

Mir tut der Rücken sooo weh. Der untere, um genau zu sein. Denn genau in dem Bereich scheint unter meiner Matte ein Stein oder irgendwas anderes zu sein. Das ist mir gestern Abend aber nicht mehr wirklich aufgefallen. Zu blöd. Ich bin richtig gerädert. Stefan liegt hingegen sehr bequem, so dass wir kurz die Seiten tauschen. Da entspannt sich mein Rücken zum Glück wieder ein bisschen. Es ist immer noch windig, aber weniger als gestern und vor allem scheint die Sonne. Herrlich! Wir frühstücken heute draußen.

Zwar müssen wir uns dazu warm anziehen, aber es ist trotzdem schön. Danach geht es ins Zelt zum Packen. Und da geht die Misere los. Stefans Uhr hat immer wieder Probleme mit der Kompass-Funktion. Und Garmin kriegt das Problem seit Monaten nicht gelöst. Also muss die Uhr neu gestartet werden, in der Hoffnung, dass es dann läuft. Nur hängt die Uhr heute komplett und startet gar nicht mehr. Stefans Laune ist, freundlich ausgedrückt, im Keller. Es gibt die ein oder andere wüste Schimpftirade über Garmin. Irgendwie muss ein Reset über die Knöpfe der Uhr möglich sein, nur kennen wir die Kombination nicht. Internet gibt es natürlich auch keins. Und in solchen Fällen ziehen wir dann den Satellitenmessenger-Joker namens Anne (Stefans Mutter). Wenn wir wirklich dringend Infos aus dem Internet brauchen oder aber etwas akut geregelt werden muss, schicken wir ihr mit unserem InReach eine Nachricht und Anne hilft uns schnellstmöglich und zuverlässig. Heute geht die Bitte nach der Reset Kombination raus. Währenddessen geben wir aber nicht auf. Stefan entdeckt, dass er die Anleitung auf dem Handy hat. Und in der steht einfach nichts zu dem Thema. Wie bescheuert ist das denn? Ich drücke weiter fröhlich diverse Tastenkombinationen und irgendwann, tadaaa, klappt es und die Uhr startet sich neu. Die Freude ist jedoch weiter verhalten, da die Uhr nun auf die Werkseinstellungen zurückgesetzt ist und zum einen alle individuellen Einstellungen weg sind, aber auch die Tracks der letzten Tage sind futsch. So gut kann ein Tag also starten. An dieser Stelle sagen wir trotzdem nochmal vielen Dank für deine Bemühungen, Anne!

Nach dem Durcheinander ist es spät. Wir gehen erst um viertel vor 12 los. Das ist heute aber nicht so schlimm, da wir nur eine kurze Strecke laufen.

Wir wollen bis zum Fuß des Harteigen, dort das Zelt aufbauen und bei guten Wetterbedingungen morgen dort hinauf. Die Sonne auf dem Weg ist herrlich, aber der Wind eiskalt. Ständig geht es bergauf, so dass uns trotzdem warm wird. Wir bemerken nun deutlich, dass wir wieder in dem Gebiet unserer ersten Urlaubswoche unterwegs sind. Hier liegt einfach noch wahnsinnig viel Schnee.

Zum Glück erleben wir aber keine so komplexen Stellen wie vorher. Bei jedem Schneefeld wird uns wieder und wieder bewusst, dass die Entscheidung für die veränderte Routenplanung richtig war. Der Schnee ist massiv aufgeweicht und schwer zu gehen. Ständig rutscht man weg und kann nur mühsam Halt finden. Immer wieder sehen wir meterhohe Schneewände an Bergkanten liegen. Es ist absolut beeindruckend! Auf einem nur leicht steigenden und nicht weiter besonderen Stück Weg will ich mich zu Stefan umdrehen, um ihm etwas zu sagen – und falle um. Mal wieder typisch für mich. Ich liege wie ein Käfer auf dem Rücken im Gras und muss einfach nur lachen. Eigentlich liege ich sogar ganz bequem. Stefan nutzt die Gelegenheit natürlich direkt für ein Foto, schließlich ist ja nichts passiert.

Trotzdem belegt der „Sturz“ aktuell nur Platz 3 meiner persönlichen Rangliste. Platz 2: Wir laufen Richtung Sandhaug über einen Feldweg. Es gibt nichts. Der Weg ist breit, keine Steine liegen herum. Da stolpere ich zielsicher über meine eigenen Füße. Und mein persönlicher Platz 1 ist so dumm, dass ich wirklich nicht sicher war, ob ich das veröffentlichen, geschweige denn Stefan überhaupt davon erzählen will… Es war die Treppe im Hotel😂 ich habe mich auf der zweiten Stufe nach oben richtig schön lang gemacht. Zum Glück war da gerade niemand vor oder hinter mir.
Es sind also offenbar nicht die kritischen Stellen, die für mich eine Gefahr darstellen.
Heute machen wir wieder regelmäßige Pausen.

Allmählich merken wir, dass dabei unser Hunger etwas wächst. Abends kommen wir mit der Hauptmahlzeit gut aus. Nur zwischendurch darf es jetzt mal ein bisschen mehr Schokolade sein oder auch ein paar mehr Trockenfrüchte. Dann läuft es sich anschließend deutlich besser. Trotzdem hält sich Stefans genervte Laune vom Morgen bzw. kommt sie stellenweise wieder hervor. „Das kann doch nicht sein, dass man von 100 auf der Ebene sofort auf -50 schaltet, sobald ein Berg kommt!“ lässt er seinen Frust raus. Ich fühle mich heute allerdings ähnlich. So als wäre das der allererste Wandertag und ich hätte seit ewigen Zeiten keine Steigung mehr gelaufen. Also gut, dass die Strecke kurz ist. Zwischendurch kommen uns zwei Männer entgegen. Wir unterhalten uns kurz und die beiden erzählen, dass sie auf dem Harteigen gewesen sind. Das sei momentan wohl etwas für die, „die es wirklich wissen wollen“. Na super, sprecht uns ruhig Mut zu. Kurz vor dem Gipfel könnte es schwierig werden. Bei dem Wind heute ist es für uns sowieso keine Option, also abwarten, was der nächste Tag bringt und im Zweifel umdrehen, wenn es zu schwierig ist. Aber versuchen wollen wir es auf jeden Fall, sofern das Wetter mitspielt. Der Harteigen ist während des Wanders von Anfang an immer wieder in unserem Blick gewesen. Gestern war er noch wolkenverhangen, aber heute blicken wir wieder und wieder auf ein großartiges Panorama.

Es macht richtig Spaß zu sehen, wie wir uns dem Berg beständig nähern. Allmählich nähern wir uns der Gegend, in der wir einen Zeltplatz suchen wollen.

Da spricht uns eine Frau mit ihrer Tochter auf Englisch an. Sie suchen den richtigen Weg. Ich bin etwas verwirrt, weil es aktuell nur einen Weg gibt und der auch gut markiert ist. Stefan ist sich nun auch unsicher und schaut lieber auf der Karte nach. Dann setzt er aus Reflex auf Deutsch mit der Erklärung an, bemerkt seinen Fehler und will gerade wieder ins Englische wechseln, da sagt die Frau, dass Deutsch schon auch in Ordnung wäre. Sie kämen auch aus Deutschland. Wir gehen bis zum nächsten Hügel, auf dem Mann und Sohn warten und erzählen noch ein bisschen. Sie waren auch total überrascht über die Schneemengen, die hier noch liegen. Im letzten Jahr sei wohl alles schneefrei gewesen. Und dabei ist dieses Jahr eigentlich gar nicht allzu viel Schnee gefallen, doch in dieser Ecke der Hardangervidda sieht das anders aus. Auch gestern, als wir uns durch den Wind geschlagen haben, konnten wir gut sehen, dass in den Bergen (aka die ursprüngliche Route) dichte Nebel- und Regenwolken hängen. Wenn das im Winter oder eher bei kaltem Wetter auch so ist, wundern uns die Schneewände nicht. Wir verabschieden uns von der Familie und finden kurz darauf unseren Platz für mindestens eine, wahrscheinlich aber für die nächsten zwei Nächte.

Wir blicken direkt auf den Harteigen, von dessen Gipfel uns jetzt nur noch 1,5km und ein paar hundert Höhenmeter trennen. Bei dem tollen Wetter müsste man eigentlich draußen sitzen bleiben. Es weht aber immer noch und ich habe inzwischen das Gefühl, dass der Wind in meinen Knochen sitzt. Nach dem Zeltaufbau verkrieche ich mich so schnell es geht in meinen Schlafsack. Trotzdem will mir nicht so wirklich warm werden. Erst nach einem ausgiebigen Abendessen, bestehend aus Hauptmahlzeit und Nachtisch, kann ich mich in meinem Schlafsack richtig wohl fühlen. Da waren heute wohl ein paar Kalorien mehr nötig. Dann ist es aber herrlich warm und gemütlich. Für die Nacht sind 2 Grad vorausgesagt. Auf knapp 1500 Metern wird es halt schnell etwas frischer. Bei den gegenüberliegenden Schneefeldern gibt es kleine Seen, die allmählich wieder zu frieren. Uns ist das alles egal und wir schlafen seelenruhig ein.

Tag 14, Kleiner Wander-, großer Pausentag 11

Die Nacht war herrlich. Wir haben so gut geschlafen wie noch nie in diesem Urlaub. Die angekündigte Temperatur in der Nacht war tatsächlich da, aber als wir aufwachen strahlt die Sonne bereits und der Tag verspricht traumhaft zu werden. Wir stehen aber nicht direkt auf, sondern beschäftigen uns erst mit ein paar anderen Sachen. Stefan sortiert die Fotos, ich schreibe den Bericht von gestern.

Aber dann geht es vor die Tür und es ist herrlich warm und die Bedingungen können nicht besser sein, um einen Aufstieg zum Harteigen zu wagen. Vorher geht es aber zum Fluss hinter unserem Zeltplatz. Den funktionieren wir kurzerhand zu unserem privaten FKK Strand um und genießen eine ausgiebige Wäsche. Besonders meine Haare freuen sich über die Seife, auch wenn mir die Wäsche nicht ganz leicht fällt. Ich bin erstaunt, dass aus der Wasserflasche Wasser fließt und mir keine Eiswürfel auf den Kopf fallen, so kalt wie das ist. Das anschließende Sauberkeitsgefühl ist unbezahlbar. Das machen wir morgen direkt nochmal!

Das Frühstück gibt es heute in der Sonne und dann werden die wichtigsten Sachen für den Aufstieg gepackt. Warme Jacken, Verpflegung für unterwegs sowie das erste Hilfe Set. Sicher ist sicher.

Der Weg zur Aufstiegsstelle ist schnell gegangen. Dort zeigt ein Schild, nun ja, die Richtung zum Aufstieg. Ergänzt wird das Schild durch die Aussage „unmarkierter Weg“. Vorgänger haben durch Steintürmchen aber eine ungefähre Route vorgegeben. Effektiv läuft man durch ein Geröllfeld den Berg hoch.

Mühsam, aber gut machbar. Auf halber Höhe werden wir von Deborah, einer Schweizerin, eingeholt. Sie bittet uns im Falle eines Absturzes ihren Notfallsender auszulösen. Eine etwas skurrile Situation.

Dann geht sie zügig weiter den Berg hinauf. Wir kommen in unserem Tempo gut voran, denken aber an der ein oder anderen Stelle schon, dass es spannend wird, hier wieder hinunter zu kommen. Dann stehen wir unterhalb des Schneefeldes, von dem wir gestern gehört haben. Das sieht tatsächlich gruselig aus, geht es doch einfach in extrem steiler Ausrichtung den Berg hoch. Deborah steht etwas weiter oben und bemüht sich, uns Tipps zu geben. Bis zur Hälfte des Schneefeldes hangeln wir uns an dem Felsen entlang. Dem Schnee wollen wir möglichst ausweichen. Hier abrutschen würde bedeuten, den ganz schnellen Weg nach unten zu nehmen. Ab jetzt müssten wir uns noch ein Stück über die Felsen hochziehen und dann wäre das schlimmste Stück wahrscheinlich geschafft. Aber kommen wir hier nachher wieder sicher runter? Unsere Berg(steiger)erfahrung hält sich ehrlich gesagt mehr als in Grenzen und uns wird das hier zu heikel. Die Aussicht von unserem Punkt aus ist aber toll, so dass sich der Aufstieg in jedem Fall gelohnt hat. Wir suchen uns eine Stelle, an der wir relativ entspannt sitzen können und genießen den Ausblick.

Langsam geht es danach vorsichtig den Berg hinab. Schnell sein wollen wir auch gar nicht. Zu schön ist es und außerdem haben wir Deborah versprochen abzuwarten, ob sie auch auf dem Rückweg wieder heil am Schneefeld vorbeikommt. Das gelingt ihr aber problemlos.

Am unteren Bergdrittel setzen wir drei uns auf ein paar Felsen und erzählen ein bisschen. Dabei erfahren wir, dass sie vor einigen Tagen die Strecke zur Trolltunga gegangen ist, die wir so anstrengend und kritisch fanden. Deborah sieht das ebenso und berichtet, dass einige Schneebrücken schon eingebrochen sind. Allzu lang haben die also wohl tatsächlich nicht mehr gehalten. Als Dankeschön für’s Warten bekommen wir eine Tafel Lindt-Schokolade mit 90% Kakao. Wir sind hellauf begeistert! Vielen Dank dafür. 🙂

Um 13 Uhr sitzen wir wieder am Zelt. Da bleibt noch viel Zeit zum entspannen. Den Nachmittag über liegen wir einfach viel rum, im Zelt oder draußen in der Sonne. Spielen ein bisschen Karten, hören Musik und essen die geschenkte Schokolade. Als Bonus können wir die schließlich einfach so essen, ohne dass unsere eigentlichen Vorräte schrumpfen. Herrlich!

Während wir gerade auf einem Felsen rumliegen, stehen plötzlich zwei Leute auf „unserem“ Hügel. Ihr habt euch vertan, der Weg geht unten lang. Offenbar suchen sie aber nach einem Zeltplatz. Und den finden sie dann auch, nicht allzu weit von uns entfernt. Natürlich dürfen sie das, aber auch in hunderten Metern Umkreis, also ohne weit zu gehen, gäbe es unendliche Zeltmöglichkeiten. Da müssen sie doch nicht ausgerechnet hier fast neben uns zelten? Verrückt! Nach dem Abendessen gehen wir noch kurz zu dem gegenüberliegenden See, auf dem noch kleine Eisschollen schwimmen.

Allerdings sind dort auch echt viele Mücken zum Sightseeing unterwegs, so dass wir nur kurz dort bleiben. Im Zelt nähe ich noch schnell Stefans Hose. Eine Naht hatte sich gelöst. Mit Nadel und Zahnseide ist das Loch aber schnell geflickt. Morgen wird wieder richtig gewandert. Und das ist auch gut so. Das Wetter soll noch stabil bleiben. Es könnte also nicht besser laufen.

Tag 15, Wandertag 12

Nachdem die Nacht gestern so toll war, hätte die heutige auch so sein sollen. Sollte man meinen. Aber Pustekuchen. Über den Tag hat mir wohl jemand heimlich Steine unter meine Zeltseite gelegt. Jedenfalls können die gestern noch nicht dort gewesen sein. Vielleicht habe ich meine Matte aber auch nur ungünstig verschoben. Das war jedenfalls nichts.

Zum wach werden geht es wieder ans Flussufer. Leider ist die Wassertemperatur nicht angestiegen. Dafür sorgt der Wind dafür, dass es sich noch kälter anfühlt. Brrrrr. Was tut man nicht alles für ein bisschen Frische. Zum Frühstück geht es dann schleunigst wieder ins Zelt. Wir müssen uns erstmal aufwärmen. Heute packen wir unsere Sachen und sind endlich mal wieder „früh“ unterwegs, um 9.40 Uhr. Der erste Kilometer ist uns noch gut bekannt von gestern. Dann geht es ziemlich schnell ordentlich bergab in das nächste Tal.

Leider werden wir dafür heute auch wieder ordentlich einen anderen Berg hinauf wandern müssen. Das Wetter ist herrlich. Sobald wir nicht mehr oben am Berg stehen, lässt der Wind nach und wir können die Jacken ein- und die Sonnencreme auspacken.

Die Abstiege sind teilweise ziemlich steil und manchmal noch verschneit. Bei einem Schneefeld stelle ich bei den ersten Schritten fest, dass ich dort wohl eher nicht vernünftig zu Fuß runterkomme und setze mich stattdessen kurzerhand hin (Anmerkung des Lektors: Das entspricht nicht ganz der Wahrheit, Hinfallen wäre hier treffender). Rutschend klappt der Weg hinab hervorragend!

Kurz darauf haben wir schon einen ersten Blick auf den Hardangerjøkulen, den Hardangervidda-Gletscher. Den schauen wir uns aber bald noch aus der Nähe an. Als wir am Fluss kurz die Wasserflasche auffüllen, passiert es: ich bekomme meine ersten zwei Mückenstiche. Eigentlich ein guter Schnitt für zwei Wochen, finde ich. Bei der ersten richtigen Pause kommt dennoch die Autan-Flasche zum Einsatz. Während der nächsten Stunden umgibt mich permanent eine dezente Autanwolke. Das ist sehr angenehm. Während der ersten beiden Stunden umgab mich nämlich eine nicht ganz dezente Schweißwolke. Gegen stundenlanges Wandern kommen selbst die beste Flusswäsche und die Merinowolle nicht ewig an.

Unterwegs huscht plötzlich etwas vor uns über den Weg. Unser erster Lemming! Der verschwindet zwar schnell im Gestrüpp, war aber eindeutig zu erkennen. Ansonsten halten sich unsere Tierbegegnungen hier sehr in Grenzen. Gelegentlich sehen wir Schafe,

immer mal wieder Mücken und ständig, immer und überall Schnaken. Sie sind (unserer Meinung nach) nicht allzu intelligent, aber offenbar sehr paarungsfreudig. Es gibt sie in unerschöpflichen Mengen. Jeden Morgen müssen wir unsere Rucksäcke und Schuhe ordentlich aus- und durchschütteln, damit möglichst viele Schnaken verschwinden. Es sitzen aber immer noch mindestens drei irgendwo drauf, dran oder drin. Sie nerven eventuell ein kleines bisschen. Aber immerhin machen sie sonst nichts. Rentiere sind uns bisher nicht begegnet. Obwohl die Hardangervidda Norwegens größte Rentierpopulation beherbergen soll, verstecken die sich sehr gekonnt vor uns. Wir kommen ihnen aber näher. Heute entdecken wir zum ersten Mal ein paar Rentierköttel.

Um halb zwei machen wir Pause an der Hadlaskart-Hütte. Wir sind ganz verzaubert von dieser Idylle. So schön lag noch keine der bisherigen Hütten und im Inneren ist sie richtig urig eingerichtet.

Besonders beeindruckt uns aber zuerst das große und übervolle Lebensmittelregal.

Wir müssen ein bisschen einkaufen, da uns für drei Tage das Abendessen fehlt. Momentan wird die unbewirtschaftete Hütte von einem älteren Ehepaar betreut. Die Hüttenwartin erzählt uns, dass sie gestern Brötchen gebacken hat und ob wir eins haben wollen würden. Aber ja! Da kaufen wir direkt noch zwei kleine Portionen Butter dazu und lassen es uns augenblicklich auf der Veranda in der Sonne schmecken. Hmmmm! Unsere Rucksäcke sind nun wieder etwas schwerer. Neben den verbleibenden selbstgemachten Abendessen gibt es die nächsten Tage Nudeln in Käsesoße, Kartoffelpürree mit Hackbällchen, Kartoffelpürree mit irgendwas mit Fleisch und Erbsen (unser Norwegisch lässt echt zu wünschen übrig) und für Stefan auch einmal Milchreis. Da kann er einfach nicht dran vorbeigehen.

Unmittelbar nach der Hütte geht es steil den Berg hinauf. Puh, das schlaucht ganz schön. Die 2,5kg mehr (Essen und Wasser, vorläufig gibt es keinen Bach mehr) merke ich jetzt besonders gut. Aber es ist einfach schön hier. Heute bin ich extrem in die Gegend verliebt. In der Ferne sehen wir immer noch den Harteigen. Wir hatten schon echt eine tolle Route bisher. Und das Beste ist, dass wir noch genau eine Woche vor uns haben. Zudem freuen wir uns mehr und mehr auf die Tour nächstes Jahr. Es geht uns einfach gut hier! Oben am Berg machen wir wieder eine Pause und haben dort tatsächlich Netz und Internet.

Die Pause wird unerwartet lang und die restliche Wanderung für heute demnach etwas kürzer. Das macht aber nichts, weil wir es bis nach Finse in den verbleibenden Tagen locker schaffen. Falls wir doch schneller unterwegs sind, bauen wir irgendwo noch ein paar Schlenker ein.

Unterwegs hatte uns heute ein Norweger gefragt, ob wir beim Hinflug Probleme durch den Lufthansa-Streik hatten. Der ist komplett an uns vorbeigegangen (SAS hat anscheinend auch gestreikt). Als Stefan danach googelt, liest er, dass sich SAS im Insolvenzverfahren befindet. Na hoffentlich hat das keine Auswirkungen auf unseren Rückflug. Der Norweger war übrigens mit seiner kleinen Hündin unterwegs. Mit den Rassen kenne ich mich nicht so gut aus, aber sie war der Typ Hund aus der Cesar-Werbung. Jedenfalls sagte er, dass die Hundedame eine tibetische Züchtung sei und sie deshalb viel besser als er mit den Gegebenheiten in der Hardangervidda zurecht käme. Ich muss an den Dackel denken, der zur Trolltunga laufen musste und hoffe, dass er auch ein tibetischer Dackel war.

Nach 19,5km beenden wir den heutigen Wandertag. Der war richtig schön! Die Landschaft war sehr abwechslungsreich und so hat die Lauferei echt Spaß gemacht. Die letzten Kilometer sind wir durch eine Gegend gelaufen, in der es so aussah, als hätte es irgendwann einmal große und kleine Felsbrocken geregnet. Wir finden an einem kleinen Fluss aber eine Stelle, auf die unser Zelt genau passt. Nun steht es zwar seitlich zum Wind, aber allzu wählerisch darf man nicht sein.

Während Stefan meine Windjacke wäscht, koche ich draußen vor dem Zelt. Es gibt heute Kartoffelpürree mit Fleisch-Erbsen-Reis-Irgendwas. Die besondere Herausforderung besteht darin, gut zu rühren, damit nichts anbrennt und parallel möglichst viele Mücken zu erschlagen. Eine überrascht mich allerdings. Plötzlich juckt es auf der Stirn nahe des Haaransatzes. Was für eine Frechheit! Stefan eilt mit dem „Heat it“ zu mir und nun weiß ich, dass am Kopf nicht nur Kälte von beispielsweise kaltem Wasser sehr unangenehm ist, sondern auch punktuelle Hitze. Zum Essen verziehen wir uns zügig ins Zelt. Das Gericht sieht nicht besonders appetitlich aus, schmeckt im Verhältnis aber ganz gut. Wir teilen das Essen auf. Ich merke irgendwann, dass ich ganz schön satt bin und gebe Stefan noch etwas ab. Der scheint aber auch schon gut gesättigt. Allerdings habe ich mich wohl ziemlich verguckt, denn als er mit seiner Portion fertig ist, fragt er „und was essen wir jetzt?“. Also gebe ich meine Reste noch ab. Dazu gibt es für Stefan noch Knäckebrot und anschließend Gummibärchen. Vollwertige Mahlzeiten sind schließlich wichtig. 😀

Zufällig entdecken wir, dass nahezu alle heute gekauften Mahlzeiten seit mindestens ein paar Monaten, wenn nicht deutlich länger, abgelaufen sind. Naja, uns macht das ja nichts. Aber in Deutschland würde ich die Sachen geschenkt kriegen und hier war das ganz schön teuer. So oder so, besser als in die Tonne. An dieser Stelle ein besonderer Gruß an Christian: Wir sind bei allerbester Gesundheit. 🤪

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Hallo ihr beiden,
    vielen Dank für euren ausführlichen und lebendigen Bericht!
    Darf ich euch auf eine Ungereimtheit der Route (s. Karte im letzten Teilabschnitt ist) aufmerksam machen? Ihr seid nach der Trolltunga wieder in Dyranut eingestiegen und zum Harteigen. Das ist auf der Karte leider gar nicht zu erkennen. Dort sieht es so aus, als ob ihr den Weg zur Trolltunga wieder hochgelaufen seid und dann weiter nach Norden.
    Schmälert aber euren schönen Bericht in keiner Weise!
    VG

    1. Hallo Andreas, danke für deinen Kommentar und dein Lob. 🙂

      Ich habe allerdings Schwierigkeiten deine Anmerkung zur Routendarstellung nachzuvollziehen. Für mich sieht es nicht so aus, als wären wir zurück gelaufen. Es gibt ja nur den einen Track zur Trolltunga und keinen Track zurück. Mit dem Button oben rechts in der Karte kann man auch einzelne Tage auswählen.
      Zugegeben ist die Route selbst etwas wirr, weil wir zwei Mal in Litlos vorbei gekommen sind. Einmal auf dem Weg zur Trolltunga und dann auf unserer Runde von Dyranut nach Dyranut.

      Viele Grüße,
      Stefan

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