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Hardangervidda, Tag 1 bis 7

Vorabinfo

Ursprünglich hatten wir den Plan, für jede Reisewoche eine kurze Zusammenfassung zu schreiben und diese mit ein paar Fotos zu versehen. Da ich hier aber täglich Reisetagebuch führe, hatte ich schlichtweg keine Lust, für die Wochenzusammenfassung wieder von vorne anzufangen oder die bereits geschriebenen Texte einzukürzen. Weil ich also bequem bin, gibt es nun einfach alles zu lesen. Glück für die, die es tatsächlich interessiert. Alle anderen scrollen bitte großzügig über den Text hinweg und schauen sich die Fotos an. So oder so wünschen wir viel Spaß! Und vorab ziehen wir schon mal Fazit: Es gefällt uns hier irre gut und wir freuen uns riesig, dass wir noch zwei komplette Wochen vor uns haben.

15.07. bis 05.08.2022

Tag 1, Anreise

Endlich Urlaub! Wir sind beide sowas von urlaubsreif und können es gar nicht erwarten, endlich wieder mit Rucksack und Zelt unterwegs zu sein. Dieses Mal wollten wir alles ganz entspannt machen und Montags packen, damit wir die restliche Woche frei haben würden. Long story short, Freitag gegen Mittag hatten wir die Rucksäcke dann tatsächlich gepackt. Jetzt aber schnell! Noch eben duschen, essen, Spülmaschine ansetzen (Danke Mama & Papa für’s Haus hüten) und dann auf zu meiner Schwester nach Willich, die uns zum Flughafen bringt. Durch das extreme Chaos am Düsseldorfer Flughafen in den letzten Wochen sind wir 4,5 Stunden vor Abflug da. In unserem Fall ist das total unnötig, aber die Wartezeit stört nicht. Der Check-in öffnet knapp zwei Stunden vor dem Boarding und die Sicherheitskontrolle geht so schnell wie nie! Wobei wir hier kurz warten mussten, da unser Handgepäck – wie jedes Mal – kurz überprüft wurde. Dabei haben wir mitbekommen, dass eine mehrköpfige Familie vor uns versucht hat, insgesamt locker 10 große Gläser Nutella im Handgepäck mitzunehmen. Alles für die Tonne. Was für ein Trauerspiel. Bei uns war alles in Ordnung, also blieb noch Zeit für ein entspanntes Abendessen und dann ging es an Bord. Düsseldorf, wir sind hin und weg. So gut hat das tatsächlich noch nie geklappt!

In Oslo angekommen, hatten wir nach kurzer Zeit unser Gepäck und liefen nur noch die paar Meter zu Radisson Red, unserem Hotel für die erste Nacht.

Tag 2

Wir starten den Tag nach einer zu 50% erholsamen Nacht. Erholsam für mich, nicht ganz so erholsam für Stefan. Das Hotel bietet eine (!) große Decke, die wir uns logischerweise teilen müssen. Leider bleibt also für Stefan nur wenig übrig. Dafür ist das Frühstücksbuffet wieder toll. Wir kennen das Hotel schon von einem vorherigen Urlaub und freuen uns daher auf all die Leckereien. Im Anschluss machen wir noch eine kleine Pause auf dem Zimmer, bevor es mit dem Skytrain in die Stadt geht. Wir versuchen unser Glück in unserem Hotel für die Nacht, der Citybox Oslo, um vielleicht früher einzuchecken oder zumindest unser Gepäck zu deponieren. Beides klappt nicht. Da die Rucksäcke doch schwer sind, machen wir es uns gegenüber der Oper auf einer Bank gemütlich, spielen Karten und reservieren ein Restaurant für den Abend. Dann gehen wir doch noch mit geschulterten Rucksäcken die Oper hoch und genießen den Ausblick auf Oslo. Das Wetter ist herrlich. Blauer Himmel, Sonnenschein und ein paar kleine Schleierwölkchen. Pünktlich um 15 Uhr stehen wir wieder im Hotel. Ab dann ist der Check-in möglich. Das klappt auch bei vielen Leuten um uns rum, nur nicht bei uns. Als nach 10 Minuten immer noch nichts funktioniert, mogeln wir uns in den inneren Aufenthaltsbereich, als gerade jemand herauskommt. Die Citybox kommt nämlich größtenteils ohne Personal aus und basiert auf einem Check-in via Computerterminal. Sobald man die Checkkarte hat, kann man das Hotel betreten. Ohne Karte geht also eigentlich weder das, noch kann man Hilfe finden, da der Rufknopf draußen nicht funktioniert. Aber als wir drinnen standen, bemühte man sich uns zu helfen. 40 Minuten später konnten wir dann endlich ins Zimmer. Statt Sightseeing stand dann erstmal ein schneller Einkauf an, damit wir Wasser bzw. Flaschen für die nächsten Wochen hatten. Zudem gab es noch ein Brot und Bacon Ost (Käse mit Bacon aus der Tube) für das Frühstück am nächsten Tag. Jetzt aber wirklich Sightseeing! Zuerst liefen wir zur Akerhus Fortress, einer teilweise sehr alten Festungsanlage, die bis in das 14 Jahrhundert zurückreicht.

Die Ausblicke auf den Hafen waren toll und auch sonst gefiel es uns dort gut. Anschließend ging es noch zum königlichen Schloss. Was uns schon vorher aufgefallen war und auf dem Weg dorthin immer wieder ins Auge stach, war die tolle Bepflanzung in der Stadt. Überall Blumen, ob unter Bäumen, in Beeten oder in riiiiiesengroßen Pflanzschalen, die komplette Straßenzüge säumten. Toll! Am Schloss angekommen, kamen wir pünktlich zum Wachwechsel. Die „Wachleute“ waren alle noch sehr jung. Wahrscheinlich gibt man solche unliebsamen Aufgaben lieber der Jugend. In Norwegen muss jeder ein Jahr zum Militär, unabhängig vom Geschlecht. Wir sind noch eine Weile durch den Schlosspark gegangen, der im Gegensatz zur restlichen Stadt nicht bepflanzt war und hauptsächlich aus Grünflächen bestand. In einer Ecke des Parks standen ein paar Kunstwerke, unter anderem ein großer Regenbogen. Auch der war in der Stadt allgegenwärtig, ob durch Regenbogenbänke, Fahnen, gemalt oder sonstige Weisen. Schön, dass eine ganze Stadt so viele Zeichen für Toleranz setzt. Zum Abendessen gingen wir ins Elias. Schön klein, sehr gemütlich eingerichtet und preislich für norwegische Verhältnisse noch erschwinglich. Wir bestellten zwei Rentiergerichte und je ein großes Bier (Hansa, kommt aus Bergen, nicht allzu empfehlenswert). Beim Blick auf die Weinkarte musste ich schmunzeln. Dort wurde ein Riesling aus dem Weingut Melsheimer an der Mosel angeboten. In diesem Weingut verbrachten wir ein paar Urlaubstage nach unserer standesamtlichen Hochzeit. Die Welt ist klein. Das Essen war super lecker und wir beide inzwischen ziemlich müde. Aufgrund der Coronalage wollten wir nicht noch weiter durch die Bars ziehen. Angeboten hätte es sich aber durchaus. Praktischerweise konnten wir aber auch von unserem Zimmer aus mitfeiern. Wahlweise mit den Leuten auf der Straße oder alternativ mit den umliegenden Zimmern. Das sollte eine Nacht werden… Ein Glück, dass es Oropax gibt. So wurde die Nacht etwas ruhiger.

Tag 3, Wandertag 1

Uns beiden tut so ziemlich alles weh. Das Bett war weicher als weich und dementsprechend schön war die Nacht. Aber die Freude ist groß! Heute geht es in die Hardangervidda! Wir genießen eine vorläufig letzte Dusche und frühstücken Brot mit Baconost. Dann packen wir unsere Sachen und laufen zum Busbahnhof. Wir sind sehr froh, dass Stefan immer so gut organisiert ist und schon alles vorgebucht hat, denn der Bus ist bis auf den letzten Platz belegt. Das ist besonders ärgerlich für einige Wanderer, die vermutlich das gleiche Ziel haben wie wir und nun auf den Nachtbus warten müssen. Der Bus am Nachmittag ist nämlich auch schon voll. Wir machen es uns aber gemütlich und verbringen die nächsten fünf Stunden mit Sitzen, einer Folge der Drei ??? und dem Hörbuch „Wir Bürger von Schilda“ (sehr zu empfehlen). Gelegentlich dösen wir ein bisschen. Nach einer Pause in Vinje nähern wir uns dem Ziel. Kurz vor Haukeliseter dann ein erstes Aha-Erlebnis: Wir sind mitten in den Bergen, alle mit kleinen oder größeren Schneetupfern, große Seen sind da und es sieht einfach wunderschön aus. Wir sind hin und weg: Das haben wir uns so sehr gewünscht! Der Bus hält an der Haukeliseterhytte und wir sind froh, direkt ins Fjell starten zu können.

Hier ist nämlich ganz schön viel los. Was uns nicht ganz so froh macht, ist dass wir zum Einstieg direkt steil den Berg hochgehen müssen. Auf den ersten paar Metern fragen sich meine Beine und mein Kopf abwechselnd „Warum machst du das? Bist du eigentlich bescheuert? Hast du dir das echt überlegt den Quatsch nächstes Jahr MONATELANG zu machen?!“. Und dann bin ich angekommen. Die übliche Wandergefühlsmischung aus Glück, Ruhe und völliger Entspannung macht sich breit. Es ist einfach nur schön hier. Sobald wir oben angekommen sind, entdecken wir das erste kleine Schneefeld. Noch freuen wir uns darüber. 😀 Da wir erst relativ spät gestartet sind, wandern wir heute nur eine kurze Strecke von ca. 4km. Da die paar Kilometer aber schon 300hm beinhalteten, sind wir trotzdem zufrieden. Unsere Umgebung besteht aus rauen Felsen, verschiedenen Bergketten und dazwischen immer Schnee, Moos und Wasser.

Wir suchen uns eine Stelle neben einem Fluss und genießen das Plätschern. Es ist ziemlich frisch, aber im Zelt wärmen wir uns schnell auf. Wir kochen unsere ersten beiden selbst zusammengestellten Gerichte (leeeecker!) und spielen noch ein bisschen Karten. Um 9 Uhr reicht es dann und wir machen die Augen zu. Die Nacht ist mit Sturm und Regen eher unruhig, so dass irgendwann nur noch Oropax helfen. Das mit dem gut Schlafen müssen wir also noch ein bisschen üben…

Tag 4, Wandertag 2

Nach der unruhigen Nacht fällt es uns etwas schwer, morgens aus dem Bett zu kommen. Auch müssen wir unsere Wanderroutine erst wieder finden. So kommen wir letztlich erst nach 11 Uhr los. Dafür schmeckt das Frühstückscouscous mit Erdbeeren ganz hervorragend. Direkt geht es wieder den Berg hoch. Und erstaunlicherweise fühle ich mich so fit wie lange nicht mehr. Vergessen scheint das bisherige Jahr mit doppelt Corona und Außenbandriss. Zwar bin ich am Berg weiterhin nicht die Schnellste, aber die üblichen Wadenschmerzen sind auch nicht mehr da. Wandern kann so schön sein! Das Wetter ist wolkenverhangen. Wir müssen mehrmals pausieren, um Kleidungsschichten aus- oder aber wieder anzuziehen. So hält sich das Tempo ziemlich in Grenzen. Und dann führt der Wanderweg über einen Fluss. An der markierten Stelle ist dieser allerdings wirklich tief. Also suchen wir nach einer Alternative. Zwar werden wir fündig, aber ganz sicher sind wir uns nicht, ob Wassertiefe und Stiefelhöhe miteinander harmonieren. Da testen wir doch lieber mal die neuen Furt-/Campschuhe. Zwar spürt man in den Barfussschuhen die Steine sehr, sehr deutlich, aber die Trittsicherheit ist auch im Gegensatz zu unseren bisherigen Crocs stark erhöht und das gefällt uns gut. Fragt sich nur, wie ich meine Sockenschuhe wohl wieder trocken kriege. Wir hängen noch eine kurze Pause an, um die Füße trocken zu lassen.

Dann geht es weiter. Und irgendwie fühle ich mich nach der Pause, als wäre sämtliche Energie beim Furten weggeschwommen. Ich schleppe mich nur so voran und habe insgeheim die Sorge, dass Corona Nr. 2 doch noch Spuren hinterlassen hat. In der Woche vor dem Urlaub habe ich das schließlich auch noch gemerkt… Das wäre eine ziemliche Katastrophe für den Urlaub. Aber aufgeben ist nicht und so laufe ich weiter. Stefan sage ich erstmal nichts, nicht dass er sich noch Sorgen macht. Mein Tempo lässt dementsprechend nach und ich muss häufiger stehen bleiben. Wir laufen heute nach der 60/15 Einteilung. Ca. 60 Minuten gehen, dann 15 Minuten Pause. Natürlich lassen wir nach einer Stunde nicht sofort den Rucksack fallen, aber bei der nächsten schöne Pausenstelle wird dann gestoppt. Wir finden eine gute Stelle direkt an einem Bach und essen erstmal eine Kleinigkeit. Die Stelle fand wohl auch vor uns schon jemand schön, denn es liegt noch eine einzelne Erdnuss auf dem Boden. Eher untypisch für das norwegische Fjell.

Dabei fällt mir auf, dass ich irgendwie gar keine Nüsse als Proviant eingepackt habe. Wie kann das denn sein? Ich war bei der Lebensmittelvorbereitung wohl doch nicht ganz auf der Höhe. Nach der Pause geht es weiter und siehe da, ich bin wieder fit. Tausend Steine fallen mir vom Herzen. Noch besser wird die Stimmung nur noch dadurch, dass die Wolkendecke aufreißt und nach und nach immer mehr blauer Himmel zu sehen ist, bis letztendlich sogar keine Wolke mehr am Himmel ist und wir durch strahlenden Sonnenschein laufen.Wir passieren unsere erste Sommerbrücke, auch wenn diese nur wenig vertrauenserweckend aussieht.

Noch besser wird die Stimmung nur noch dadurch, dass die Wolkendecke aufreißt und nach und nach immer mehr blauer Himmel zu sehen ist, bis letztendlich sogar keine Wolke mehr am Himmel ist und wir durch strahlenden Sonnenschein laufen. In der Ferne kann man den nächsten zu ersteigenden Berg schon erkennen. Ach, der Weg sieht aber entspannt aus, sage ich. Wie sich bald herausstellt, habe ich mich ziemlich getäuscht. Es geht beständig den Berg hoch und die Steigung ist nicht zu unterschätzen. Das Einzige was mich halbwegs tröstet, ist, dass der Weg zumindest gut begehbar ist. Die Aussicht auf die sonnenbeschienenen Berge um uns rum ist vom Gipfel aus grandios. Dort genießen wir den Apfel, den wir seit Samstag noch vom Frühstück im Rucksack haben. Aus Spaß schaue ich, ob mein Handy hier Netz hat. Null Balken. Dann die Überraschung: 4G. Völlig verrückt!

Plötzlich fällt mir ein, dass ich gar nicht vergessen habe, die Nüsse zu kaufen. Ganz im Gegenteil! Ich habe extra eine (hoffentlich) besonders leckere Mischung gekauft, um mal Abwechslung zu den 08/15 Supermarkt Tüten zu haben. Nur leider steht der Beutel noch unangetastet zu Hause in der Tasche mit den anderen Trekkingzutaten. Blöd gelaufen.

Die nächsten Meter sind erstmal entspannt. Ein geht ein bisschen den Berg runter, ein bisschen den nächsten Berg rauf und dann folgt ein steiler Abstieg. Zu unserer Überraschung ist aber plötzlich kein richtiger Weg mehr da. Stattdessen besteht die komplette Bergrückseite aus einer einzigen Schneewand. Erstmal werden die Sonnenbrillen ausgepackt und dann geht es los. Der Abstieg klappt gut, ist aber sehr anstrengend. Wir sind beide wahnsinnig froh, dass wir nicht auf den Berg hinauf mussten.

Ca. 10 Kilometer hatten wir als Mindestmaß für den Tag heute angesetzt. Nach 13km sind wir also zufrieden und finden einen herrlichen Zeltplatz mit Blick auf einen See und einem sprudelnden Bach neben dem Zelt.

Es ist weiterhin sonnig und warm. Wir können also heute draußen essen. Das Einzige, was mich wundert: Wieso sehen wir hier keine Mücken? Aber ich will mich wirklich nicht beschweren. Das kann gerne so bleiben! Als Wolken aufziehen, verschwinden wir ins Zelt. Ein bisschen Karten spielen, dann noch Hörbuch hören. Um viertel vor 10 kündigt Stefan an, dass er schlafen will. Ungefähr 30 Sekunden später höre ich tiefes Schnarchen von rechts. Wie macht der das bloß? Ich liege noch eine Weile wach, bis ich auch endlich einschlafen kann…

Tag 5, Wandertag 3

Nach einer wiederum für mich unruhigen Nacht, werden wir von strahlendem Sonnenschein geweckt. Es ist ca. 7 Uhr. Aber da die Sonne ohnehin nur eher kurz während der Nacht verschwindet und es nie so richtig dunkel wird, ist es während der Nacht immer schwer einzuschätzen, wie spät es tatsächlich ist. 7 Uhr ist aber eine gute Zeit zum Aufwachen. Und weil das Wetter so toll ist, packen wir direkt Schlafsack und Matte ein und frühstücken dann draußen. Vorher gönnen wir uns allerdings erst noch das Beauty-Programm mit Haare waschen. Die Sonne will schließlich genutzt werden. Das Wasser ist eisig kalt, also erwärmen wir es mit dem Kocher um ein paar Grad. So ist es für den Kopf deutlich besser zu ertragen. Zum Frühstück gibt es Haferflocken mit getrockneten Aprikosen und Mandeln. Aprikosen sind super, auch getrocknet, aber mit Haferflocken ergeben sie nicht die allerbeste Kombi. Für meinen Geschmack jedenfalls. Zum Frühstück bzw. auch schon vorher, bekommen wir Gesellschaft. Ich hätte es gestern nicht erwähnen sollen… jetzt sind die Mücken da. Sie freuen sich offenbar ebenso über die Sonne wie wir. Also holen wir schnell das Mückenspray raus und legen uns damit eine zweite Haut zu. Das hilft. Dann wird gepackt. Um halb 10 sind wir startklar. Da sich die Sonne wieder verzogen hat, wechselt Stefan sicherheitshalber doch von der kurzen in die lange Hose. Das wird zwar im Laufe des Tages noch warm für ihn, aber im Hinblick auf die Mücken auch noch oft von Vorteil sein. Dann geht es los. Kurz hinter unserem Zeltplatz queren wir den ersten Fluss mit einer Brücke und dann geht es an eben diesem eine ganze Weile entlang. Der Weg ist relativ einfach zu gehen, so dass wir zügig vorwärts kommen. Trotz Wolken wird uns sehr schnell warm, also Jacke aus und Mückenspray auf die Arme. Da die Mücken durchaus kreativ sind, streiche ich mir mit den Armen auch noch über den Kopf. Dünne Haare sind halt kein guter Mückenschutz. Die Wäsche hat sich dementsprechend eher nur kurzzeitig gelohnt, aber besser als keine. Als wandelnde Deet-Säulen laufen wir weiter. Bald kommt die Hellevassbu in Sicht. Unser erstes Pausenziel. Die 60/15 Einteilung halten wir damit zwar nicht, aber das ist egal. Ca. 1,5km vor dem Ziel ist der Weg mal wieder etwas matschig. Das ist nicht ungewöhnlich, matschige Stellen gibt es ständig. Mit den Trekkingstöcken tasten wir dann vorsichtig, ob es Steine gibt, auf die man treten kann und wie tief der Matsch überhaupt ist. Hier versinkt der Stock sehr ordentlich. Ich warne Stefan, da ich vorgehe und zeige ihm den Weg über versteckte Steine. So komme ich problemlos rüber. Dann schaue ich Stefan zu. Er findet den Stein, will weitergehen und rutscht dabei ab. Der linke Fuß versinkt komplett im Schlamm. Stefan befreit sich schnell wieder. Und ein Glück, durch die lange Hose ist der Schuh im Inneren trocken geblieben.

Kurz darauf kommen wir an der Hellevasbu an. Unsere erste DNT Hütte! Ich freue mich auf ein paar Kekse. Die gibt es aber nicht. Als Ersatz dient ein Wasa Sandwich. Auch lecker! Die Hütte sieht wirklich gemütlich aus. Da freuen wir uns auf die anderen. Wir machen uns nach einer kurzen Pause aber auf den weiteren Weg. Inzwischen scheint die Sonne. Und sie gibt wirklich alles. Da wird der nächste Aufstieg zur schweißtreibenden Angelegenheit.

Bei mir läuft es aber. So richtig richtig gut. Stefan hängt heute irgendwie hinterher und äußert frustriert, dass es doch nicht sein könne, wie ich voranpresche. Normalerweise wäre er der König am Berg und ich nur auf der Ebene. Jetzt würde ich ihm den Titel streitig machen. Ich vermute allerdings, dass das nur daran liegt, dass er heute einen schlechten Tag hat. Kurz hinter dem Gipfel machen wir eine ausgedehnte Pause und liegen faul in der Sonne rum. Kurz überlegen wir, den gegenüberliegenden Bergrücken zu besteigen, aber wir entscheiden uns dann doch dagegen. Es folgt ein recht steiler Abstieg, der aber gut zu bewältigen ist. Danach geht es kurz durch ein Tal, in dem wir nochmal die Wasserflasche füllen. Wir nehmen bisher nie viel mehr als einen halben Liter mit. Es gibt einfach ständig Wasser, da wäre das unnötiges Gewicht. Von unseren Wasserblasen haben wir uns endgültig verabschiedet. Man trinkt damit einfach oft zu wenig und für unsere Tour nächstes Jahr wären sie ohnehin ungeeignet, da die Schläuche schwer zu reinigen sind. Dann machen wir uns auf zum nächsten Anstieg.

Es ist ein ständiges Auf und Ab heute. Über ein Schneefeld geht es steil den Berg rauf. Puh.

Die sind doch jedes Mal wieder anstrengend. Auf der weiteren Strecke begegnen wir einem Pärchen an einem Schneefeld. Er nutzt die Kartenhülle als Schlitten und rutscht ein Schneefeld hinab. Sie filmt die Aktion. Das sieht echt lustig aus. Sollten wir auch mal probieren!

Vor dem letzten Abstieg überlegen wir, ob eine weitere Pause nötig ist oder nicht. Ich schlage vor, dass wir es vom Schwierigkeitsgrad des Abstiegs abhängig machen. Als wir (schon wieder) vor einem steilen Schneefeld stehen und nicht absehen können, wie weit es reicht, heißt es also: Pause. Gerade wenn man schon etwas müde ist, ist es wichtig die Konzentration hoch zu halten bzw. wieder zu bekommen. Fehltritte sind ansonsten schnell gefährlich. „Normale“ Fehltritte kommen über den Tag verteilt aber häufiger vor. Mal, weil der Stein doch wackelig ist, mal, weil man von der grandiosen Landschaft abgelenkt ist und einfach nicht auf den Weg guckt. Die Trekkingstöcke arbeiten brav als zusätzliche Stützen und verhindern zumeist Schlimmeres. Unangenehm ist’s trotzdem, aber da die kurzzeitigen Schmerzen in den Momenten im linken Fuß genau so sind wie im angeschlagenen rechten, mache ich mir da keine Sorgen.

Das Schneefeld stellt sich als gar nicht so ganz lang raus, der schneefreie Abstieg dahinter aber umso mehr. Die Landschaft unten ist wie gemalt. Sanfte grüne Wiesen, die am Seeufer liegen.

Darauf ein paar Schafe. Wenn das keine Zeltkulisse ist. Und dann betreten wir die „grünen Wiesen“ und stehen mehr im Wasser als alles andere. Doch nicht so optimal zum Zelten. Also weiter, bis wir tatsächlich eine passende Stelle finden. Das dauert ein wenig, aber klappt natürlich noch. Nach 16km beschließen wir den Wandertag. Die Sonne scheint weiterhin und ein paar erste kleine Sonnenbrände zeigen sich. Offenbar haben wir uns an manchen Stellen nicht ganz so sorgfältig eingecremt wie gedacht. Es ist aber auch frech, dass der Rucksack das Tshirt im Nacken ein kleines Stückchen weiter runterzieht, als man Sonnencreme verteilt hat. Nunja, Jammern auf hohem Niveau. Wieder genießen wir ein Essen draußen und spielen noch eine Runde Karten. Dann nimmt der Wind zu und wir verschwinden ins Zelt. Wir spielen weiter (immer Rommé Hand) und hören dann, wie jeden Abend, noch ein bisschen Hörbuch. Stefan fängt ein Buch über das Kanzleramt an, ich höre mein aktuelles weiter – geschrieben und gesprochen von Christoph Maria Herbst. Es ist fürchterlich. Kinderbücher vorlesen kann er super, aber Bücher schreiben sollte er offenbar besser lassen… Gegen 22 Uhr versuchen wir es mit schlafen. Gute Nacht.

Tag 6, Wandertag 4

Die Nacht war zwar wieder etwas unruhig, da windig, aber deutlich erholsamer als alle vorherigen zusammen. Ich finde es total kuschelig in meinem Schlafsack und auf meiner Matte und will gar nicht aufstehen. Da die Sonne aber freundlich grüßt und aufs Zelt scheint, bleibt nichts anderes als sich doch aus dem Schlafsack zu schälen. Dann kommt eine Wolke und Regen. Gerade nochmal Glück gehabt. Zur Seite drehen und weiter dösen. Das Ganze wechselt sich noch ein paar Mal ab. Auch in der Nacht gab es hin und wieder Schauern. Wir beschließen zwischenzeitlich dennoch mit dem Packen zu beginnen. Das Frühstück gibt es heute im Zelt. Bis wir draußen sind, ist das Wetter allerdings wieder wolkenlos so dass wir direkt auf Jacken verzichten. Stattdessen gibt es eine Runde Deet für die Kleidung und eine Runde Sonnencreme für die Haut. Heute reiben wir uns auch extra sorgfältig ein! Die Mücken erfreuen sich ebenso am Wetter wie wir, machen um uns aber vorläufig erstmal einen Bogen. Verständlich, ich würde mich auch nicht riechen wollen.

Als erstes Zwischenziel peilen wir heute Litlos an. Wir spekulieren auf frische Waffeln an der Hütte, da diese vollständig bewirtschaftet ist. Nach gut 2km können wir sie bereits sehen. Da ist sie allerdings noch gute 5km entfernt. Und das zehrt tatsächlich an den Nerven. Der Weg ist weder besonders schwer noch anderweitig anstrengend, aber die doofe Hütte will einfach nicht näher kommen. Der Weg zieht sich mindestens unendlich. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es Leuten gehen muss, die schon wirklich viel Strecke hinter sich haben und dort am Ziel sind. In jedem Fall brauchen wir beide eine Pause, als wir endlich angekommen sind. Die Enttäuschung: keine Waffeln. Als Ersatz gibt es eine Zimtschnecke und eine Flasche Cola für jeden. Stefan nimmt die klassische Variante, ich die ohne Zucker. Der Koffeingehalt macht wach genug.

Schnell verschwinden wir wieder aus der Hütte. Die Anlage ist riesig und obwohl es gerade sehr ruhig ist, ist uns zu viel los. Da machen wir lieber ein paar Kilometer weiter noch eine richtige Pause. Bis zu der dauert es eine Weile. Immer, wenn theoretisch ein schöner Pausenplatz auftaucht, heißt es: Wir können hier nicht stehen bleiben, hier ist Mückenland. In dichten Schwärmen sitzen sie in und rund um Matschpfützen. Bei dem Wetter kein Wunder. Solange Wind da ist, ist es aber aushaltbar. Leider fehlt der ab uns zu und dann brennt der Planet gefühlt. Oder zumindest die Hardangervidda. Es ist unglaublich heiß.

Selbst dem norwegischen Wettergott scheint das nicht ganz geheuer zu sein, so dass wir ihn immer mal wieder in seinen Bart grummeln hören. Jedenfalls wollen wir das glauben. Alternativ würden die Geräusche bedeuten, dass sich irgendwo ein Gewitter anbahnt und das können wir definitiv nicht gebrauchen. Wir gehen also weiter. Kurz darauf hört das Grummeln auf und der dunkler aussehende Himmel bleibt scheinbar hinter den nächsten Bergen hängen. Also kommen wir doch noch zur verdienten Pause. Wir essen ein paar Snacks und liegen an unsere Rucksäcke gelehnt rum. Beim in der Gegen rumgucken fällt mir am nächsten großen Stein ein paar Meter weiter eine Bewegung auf. Da huscht doch etwas… eine Maus vielleicht? Ich mache Stefan darauf aufmerksam. Was ist das bloß? Vielleicht stehen wir unseren ersten Lemming. Schon jetzt finde ich das Tier auf jeden Fall total niedlich und muss es weiter beobachten. Das Tierchen findet uns anscheinend auch interessant und kommt immer ein Stückchen näher. Für einen Lemming scheint es viel zu klein. Eine Maus ist es eindeutig auch nicht. Die Größe passt aber eigentlich. Irgendwie sieht es aus wie ein wirklich kleines Wiesel. Das werden wir bei nächster Mobilnetz-Gelegenheit wohl mal recherchieren müssen. Plötzlich vernehmen wir doch wieder ein Grummeln. Da gehen wir lieber weiter. Es wartet eine größere Furt auf uns. Wir suchen eine Weile nach einer geeigneten Stelle und orientieren uns dann an zwei Norwegern, die von der anderen Seite gekommen sind. Der Fluss ist wahrscheinlich nicht sehr tief, aber die Schuhe müssen wir tauschen. Die Mücken um uns rum reiben sich schon gierig ihre Beinchen. Sie ahnen, dass gleich Futter kommt, auch wenn es jetzt noch hinter der Deet-Wand verborgen ist. Wir beeilen uns mit dem Schuhe aus- und andere Schuhe anziehen, aber da wir die Hosen bis zu den Knien hochziehen müssen, werden wir auf ein geheimes Kommando hin attackiert. Stefan wird überraschenderweise häufiger erwischt. Wahrscheinlich stinken meine Beine doch zu sehr, da meine Hose recht durchlässig ist und die Haut beim Einsprühen etwas abbekommen hat. Ein paar sehr hungrige Mücken wagen einen todesmutigen Versuch und zahlen mit ihrem Leben. Der Fluss hat eine ordentliche Strömung und viele glitschige Steine, aber wir kommen schnell durch.

Der Wettergott hatte wohl aber endgültig keine Lust mehr auf das sommerliche Wetter und schickt uns deshalb zusätzlich zum Wasser von unten noch Wasser von oben. Da kommt man aus dem Fluss und will sich schnell die Wanderschuhe anziehen, damit einen die Mücken nicht erneut als Festmahl wählen, da muss man aber auch zügig die Regenjacke anziehen, damit man nicht klitschnass wird. Sonst hätten wir direkt durch den Fluss schwimmen können. Schlussendlich stehen wir in voller Regenmontur da und machen uns auf die Suche nach dem Wanderweg. Der ist schnell gefunden. Im starken Regen laufen wir weiter. Bald bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich wirklich aus dem Fluss rausgegangen bin oder doch noch mitten durch laufe. Alles steht unter Wasser, die eigentlichen Wege entwickeln sich zu Bächen. Die Schneeschmelze ist in vollem Gange und der Regen tut sein Übriges dazu.

Während des Wanderns hören wir übrigens eher selten Musik oder Hörbucher/Podcasts etc.. Meistens ist das auch gar nicht nötig, da der eigene Kopf als Jukebox fungiert. Die Musikauswahl ist leider häufig mäßig und immer unberechenbar: Bei mir spukt sie liebend gerne Kinderlieder aus, solche, die ich während der Arbeit singe, aber auch Lieder, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr gehört habe. Was für einen Unsinn man offenbar abspeichert. Ein weiteres Gimmick ist die Schlagwortsuche. Man denkt über irgendetwas nach und urplötzlich schmeißt der Kopf folgendes ein: Hey, zu diesem Wort kenne ich ein Lied. Und los! Wie gesagt, oft nicht schön und meistens auch schrecklich nervig und hartnäckig. Im Optimalfall kann man es noch zum Wandern umdichten (Unser heutiger Musikvorschlag: Laufi, laufi, laufi, laufi, ich laufe richtig hart, ich bin ein Laufautomat). Und dann gibt es noch eine letzte gemeine Funktion. Die kommt dann zum Tragen, wenn einer von uns einen urerträglichen Ohrwurm hat und das dem anderen unbedingt mitteilen muss. Sowas ist grundsätzlich und immer ansteckend. Positiv gesehen spart es aber Handyakku. Also immerhin etwas.

Gegen vier Uhr erreichen wir eine Stelle, die perfekt zum Zelten ist. Das Wetter ist weiterhin regnerisch und windig, der Platz aber von drei Seiten von Fels umgeben und damit halbwegs windgeschützt. Wir überlegen hin und her. Eigentlich ist es noch zu früh für den Zeltaufbau und eigentlich fühlen wir uns noch fit genug zum Weitergehen. Andererseits wollten wir es in der ersten Woche ruhig angehen lassen und maximal 15km pro Tag laufen. Das haben wir gestern bereits überschritten, also wäre es doch gut, heute früher aufzuhören… Die Distanz für morgen wäre dann zwar doch etwas länger, aber nur falls wir fit sind. Dann lieber heute früh Schluss machen. Also wird das Zelt aufgebaut. Natürlich gibt der Regen in dem Moment nochmal alles und es schüttet wie aus Eimern. Hätten wir mal nicht so lang überlegt. Um die Wartezeit bis zum Abendessen zu überbrücken, kochen wir erstmal eine Suppe. Mein Magen findet Maggi zwar normalerweise nicht so toll (womit er natürlich absolut Recht hat), aber unterwegs muss es manchmal halt schnell und einfach sein. Leider zeigt sich mein Magen da nicht so kompromissbereit und jagt mich nach der Suppe zeitnah aus dem Zelt. Immerhin regnet es nicht mehr. Das richtige Abendessen gibt es erst gegen halb 9. Heute ist der Zeitplan durcheinander. Das Nudelgericht will mir auch noch nicht so richtig schmecken und deshalb hat Stefan heute besonderes Glück und kriegt zusätzlich zu seiner Portion noch die Reste meiner. Falls ich morgen aufgrund des Kalorienmangels nicht voran komme, erwarte ich, dass Stefan mich trägt. Er muss durch den Bonus schließlich fit sein. 😀 Der Abend endet später als bisher. Ich möchte ein neues Buch anfangen, kann mich aber nicht auf Oscar Wilde konzentrieren und verlasse mich stattdessen auf meine treuen Freunde Justus, Peter und Bob. Sorry Oscar, aber wir hören uns ganz bestimmt morgen.

Tag 7, Wandertag 5

In der Nacht hat es häufiger geregnet. Das ließen die Wolken am Abend schon erahnen. Ohne Wind war es viel wärmer als erwartet. Da konnten wir nachts wieder ein bisschen aus den Schlafsäcken raus gucken. Der Ausblick ist begrenzt. Es hängt viel Nebel in den Bergen um uns rum.

Immer mal wieder tröpfelt es von oben. Wir haben noch nicht so ganz viel Lust aufs Zusammenpacken und sitzen noch im Zelt rum. Zum Frühstück gibt es heute Couscous mit gefriergetrockneten Beeren. Super lecker! Die Obst-Varianten schmecken mir eindeutig am besten. Alle guten und weniger guten Gerichte notieren wir uns für nächstes Jahr, damit dann wirklich alles so gut wie eben möglich schmeckt. Bisher essen wir eher wenig und sowieso viel weniger als zu Hause. Auch verrückt. Aber das wird sich innerhalb der nächsten Woche wohl allmählich ändern. Ein Gewichtsverlust ist allerdings einkalkuliert und durchaus erwünscht. Zum Start der heutigen Wanderung ziehen wir direkt Regenjacke und -hose an. Erst liegt noch ein leichter Nieselregen in der Luft, wahrscheinlich vom Nebel.

Der Regen endet aber bald und uns wird ganz schön warm. Mit zunehmender Sicht wandern wir weiter. Bald müssen wir die Regenjacken aber ausziehen. Eindeutig zu warm. Ich packe auch direkt die Regenhose weg. Stefan muss seine noch anbehalten, da er nur die lange Merinohose drunter hat. An einem Fluss angekommen, entdecken wir keinen Weg rüber, ohne nasse Schuhe zu bekommen. Da wechseln wir lieber. Sicher ist sicher. Im Gegensatz zu gestern ist der Fluss eiskalt.

Aber dafür beschließt das Wetter, dass nun doch wieder Zeit für Sommer ist. Die Wolken reißen auf, der Himmel strahlt blau und die Sonne wärmt unsere eisigen Füße. Da legen wir mal direkt eine größere Pause ein, auch wenn wir noch nicht allzu weit gelaufen sind. Sonne, Wind und Wasser? Zeit zum Waschen! Erst die Haare, dann ein bisschen Unterwäsche. Dann geht es weiter. Direkt über ein Schneefeld. Wenn wir auch nur eine Ahnung davon hätten, wie viele Schneefelder heute noch auf uns warten, hätten wir die Strecke vermutlich eher auf mehrere Tage aufgeteilt. So freuen wir uns aber einfach über das Wetter und das Laufen.

Die Mücken von gestern haben die Nacht genutzt und ihren kleinen Kollegen Bescheid gegeben, dass wir kommen. In dicken Schwärmen fliegen sie aus kleinen Sträuchern, Pfützen oder Ähnlichem und belagern uns und unsere Rucksäcke. Miteinander reden ist da nicht mehr. Man sollte den Mund auf jeden Fall geschlossen halten, außer man hat akuten Proteinmangel. Für uns heißt das, dass wir eine schöne Schicht Deet auftragen, diesmal auch auf die Haut. Heute verwandeln wir uns wohl in ein Wander-Schnitzel. Zur Sonnencreme gibt man ein Mückenmittel der Wahl und damit bleibt der Dreck dann als ultimative Panade besonders gut haften. Die Landschaft ist und bleibt ein Traum. Wir können uns gar nicht satt sehen. Der See, an dem wir entlang gehen, hat immer wieder kleinere und größere Eisschollen. Ständig müssen wir stehen bleiben, damit Stefan ein Foto nach dem anderem machen kann. Heute sehen wir einige andere Wanderer. Wir verständigen uns auf Englisch, was bisher überall gut klappt. Unsere Norwegischkenntnisse lassen leider noch zu wünschen übrig, obwohl ein paar Grundlagen schon sitzen. Für mehr muss die Sprache dann aber gewechselt werden. So oder so, die Gespräche haben alle den gleichen Inhalt.

Alle wollen entweder zur Trolltunga hin oder kommen von dort. Es ist einfach DIE Attraktion der Gegend.

Vor dem nächsten größeren Anstieg machen wir eine Pause und beobachten, wie der nächste Fluss zu queren ist. Hmm, das sieht nicht ganz eindeutig aus. Es scheint einen kleinen Übergang zu geben, aber nur wenige nehmen den. Warum? Und was ist die Alternative? Nach einer kleinen Stärkung gehen wir los und sehen uns die Situation vor Ort an. Der Fluss entwickelt sich durch einen Felsspalt zu einer reißenden Strömung, die wenige Meter weiter unter einer Schneedecke verschwindet und dann deutlich tiefer in dem See endet. Theoretisch könnte man hier einfach drüber springen. Der Abstand ist machbar und das Risiko theoretisch nicht allzu groß. Wie häufig überspringen wir schließlich Bäche oder irgendwelche Felsspalten? Aber dann riskiert man im schlimmsten Fall halt nur einen nassen Fuß oder ein paar blaue Flecken. Hier sieht das anders aus. Der Kopf malt das eine oder andere wilde Szenario und so beschließen wir, doch lieber einen anderen Weg zu suchen. Ein anderes Paar hat kurz zuvor das gleiche Problem gehabt und ist stattdessen über die Schneebrücke gegangen. Das finden wir als Alternative auch nicht so ganz grandios, aber sie ist tatsächlich noch sehr dick und dürfte noch ein paar Tage halten. Uns hält sie ebenfalls und so geht es weiter.

Die letzte Pause hat Stefan übrigens dazu genutzt, die Merino-Regenhosen Kombi gegen eine kurze Sporthose zu tauschen. Ich beneide ihn etwas, bleibe aber bei meiner langen Hose. Unser Sonnencremevorrat neigt sich erstaunlich schnell dem Ende zu und wenn ich jetzt eine kurze Hose tragen würde, wäre sie sofort leer. Das würde unseren Kopf und unsere Arme blöd dastehen lassen (oder eher rot) und so geht es in langer Hose weiter. Da die aber sehr atmungsaktiv und ultra bequem ist, macht das nichts. Hinter dem überquerten Schneefeld erwartet uns – ein Schneefeld. Und noch eins. Und noch eins. Und… ach ich höre lieber auf.

Mal ist der Schnee fester, mal weicher. Mal versinken wir etwas, mal rutschen wir mehr, als dass wir laufen. Wir kommen zu einem Berg, an dem es steil hoch geht. Natürlich auf einem Schneefeld. Was auch sonst. Oben angekommen mault mein rechtes Knie, ob das denn wirklich nötig gewesen sei. War es nicht. Es hätte auch einen einfacheren und weniger schneeigen Weg drumherum gegeben, nur konnten wir das von unten nicht erkennen. Naja. Während wir weiter vor uns hin braten, geht es kontinuierlich höher. Die Aussicht ist sagenhaft. Wir haben einen tollen Blick auf die umliegenden Berge. Alle sind zu großen Teilen mit Schnee bedeckt. Zusammen mit dem blauen Himmel und den dazwischen liegenden Seen, die teils noch eisbedeckt sind, gibt das ein wahnsinniges Panorama.

Es gibt nur ein Problem. Nicht nur die Berge um uns rum sind schneebedeckt. Wir kommen gefühlt unglaublich langsam voran und verlieren durch den Schnee immer mal wieder die Wegmarkierung. Das ist aber halb so wild, die Richtung ist deutlich und irgendwann kommen wir schon wieder auf eine Spur. Bei dem Nebel von heute Morgen wollen wir hier oben aber wirklich nicht unterwegs sein. Irgendwann erkennen wir den Weg wieder. Der liegt allerdings locker 150 Meter von uns entfernt und auch etliche Höhenmeter tiefer. Wir versuchen erst gar nicht, dort hinzukommen und folgen unserer eigenen parallel verlaufenden Route. Am übernächsten Berg sind wir dann wieder „richtig“.

Allmählich fühlen wir uns schon ganz schön platt. Aber eigentlich wollen wir doch heute bis zur Trolltunga kommen… das Wetter wäre so perfekt. Allerdings müssen wir einsehen, dass der Plan bei den anstrengenden Wegverhältnissen vielleicht etwas ambitioniert ist. Plötzlich entfährt Stefan beim Blick auf die Karte ein „Ach du scheiße“. Oh nein, sind wir falsch gelaufen? Oder tatsächlich so unendlich langsam, dass wir heute garantiert nicht ankommen? Beides ist es nicht. Nur der weitere Routenverlauf für die nächsten Tage stellt sich gerade anders dar, als erwartet. Von der Trolltunga aus wollen wir in einem Bogen zurück zur Tyssevassbu und von da aus müssen wir ein kleines Stück doppelt laufen, um auf einen anderen Weg zu kommen. Alles kein Thema. Jetzt sind wir das „kleine Stück“ aber gerade gelaufen und haben wirklich überhaupt gar keine Lust, das nochmal machen zu müssen. Stefan schimpft wie verrückt und äußert unter anderem, dass er lieber mit dem Bus irgendwo hinfahren würde, als diesen schönen Weg (nein, er hat nicht schön gesagt) nochmal zu gehen. Wir vertragen unsere Entscheidung zunächst auf den nächsten Tag, wenn wir uns in Ruhe alle verfügbaren Karten ansehen können. Allerdings hat uns die Info schlagartig das letzte bisschen Energie geraubt. Aber es hilft ja nichts. Vom Hinsetzen und Jammern wird es nicht besser. Jetzt erstmal bis zur nächsten Hütte kommen, der Tyssevassbu, und dann sehen wir weiter.

Etwa einen Kilometer vor der Hütte versuchen wir, irgendwo einen Zeltplatz zu finden. Doch die Optionen sind unbrauchbar. Direkt an der Hütte zelten wollen wir auch nicht. Also gehen wir noch ein bisschen weiter. Ich schreibe zwar „ein bisschen“, aber uns beiden ist klar, dass wir ab diesem Moment definitiv bis zur Trolltunga laufen werden. Das sind noch gute 7km. An sich nicht viel, aber die bisherigen 15km hatten es in sich und es nicht ist zu erwarten, dass der Weg viel besser wird. Der Körper will eigentlich nicht mehr. Nur der Kopf ist stur. Spätestens ab jetzt schalten wir in den Automatikmodus und laufen einfach nur noch. Und siehe da, erstmal kein Schnee und gut begehbare Wege. Das freut uns so sehr, dass wir nicht auf den Weg achten und plötzlich auf der falschen Flussseite unterwegs sind. Also wieder ein Stück zurück und schnell furten. Das sieht auch mit Wanderschuhen machbar aus, sagt Stefan und läuft voran. Das sieht nach einem ganz schön großen Schritt für meine deutlich kürzeren Beine aus, denke ich. Und gehe natürlich trotzdem hinterher. Die Hitze ist groß und die Füße sehr warm, also gönne ich meinem linken Fuß eine kleine (zum Glück nur kleine!) Abkühlung und dann geht es auf der richtigen Seite weiter. Eher früher als später kommt der Schnee wieder in Sicht- und Trittweite. Mit stoischer Entschlossenheit gehen wir über jedes einzelne Feld. Doch plötzlich sehen wir zwar Schnee, hören aber ein richtig lautes Rauschen. Ohje, das ist nicht gut. Unterspülte Schneebrücken sind echt das Letzte. Vor allem, wenn man überhaupt nicht abschätzen kann, wie viel Schnee noch vorhanden ist.
Wir suchen nach Alternativen, finden aber keine. Und reden uns ein, dass der Schnee auch uns wohl noch halten wird. Richtig vertrauenserweckend ist die Situation dennoch nicht. In rasantem Tempo spurten wir über das Schneefeld. Es ist immer noch der offizielle Weg und höchst wahrscheinlich wäre der Fluss an dieser Stelle daher sehr leicht zu passieren, aber mit Schnee ist das weder erkennbar noch einschätzbar. Die gleiche Situation erleben wir auf den nächsten Kilometern noch ein paar Mal. Nie ist uns wohl dabei, aber die Wassermassen sind auch zum Furten zu groß und die Strömungen zu stark. Kein Wunder, ist es doch inzwischen schon Abend.

Ich rede mir kontinuierlich ein, dass es nun nicht mehr weit sein kann. Bei den ständigen Schneefeldern trügt das gefühlte Vorankommen aber oft. Ich könnte Stefan fragen, wie weit es wirklich noch ist, habe jedoch Angst vor der Antwort und gehe einfach weiter. Um wach zu bleiben gibt es praktischerweise nochmal eine Furt. Ringsherum tosen riesige Wasserfälle.

Die Natur zeigt sich von ihrer gewaltigsten Seite. Selbst die kleine Furt hat eine starke Strömung und ist vor allem eisig.

So richtig wach werden wir trotzdem nicht mehr. Langsam geht es bergab. Da! Ich sehe etwas Rotes zwischen den Bergen weiter unten. Das kann nur ein Zelt sein. Und wo ein Zelt steht, muss das Ziel greifbar sein. Dass wir auf den letzten Metern nicht auf allen Vieren kriechen, ist pure Selbstbeherrschung. Und dann sehen wir unseren Zeltplatz. Unten am See liegen drei völlig ebene, grasgrüne Halbinseln und die letzte wird unser Platz. Im intensiven Licht der Abendsonne, die alles mit einem goldenen Schimmer überzieht, sieht es aus wie gemalt. Wir finden es surreal schön. Während Stefan das Zelt aufbaut, erhitze ich Wasser und kippe es in die heutigen Mahlzeiten. Dann schmeißen wir schnell alles ins Zelt und essen. Wir ähneln heute eher zwei Schaufelbaggern. Schön ist das wahrscheinlich nicht anzusehen, aber wir haben einen Bärenhunger. Selbst die Mücken, die uns gierig umschwirren, sind uns egal. Inzwischen ist es nach 21 Uhr. Wir sind erst um 20.30 Uhr nach 22km und 631hm angekommen. Eigentlich halb so wild, wäre der Weg nicht so verschneit gewesen. Was für ein langer Tag. Und er ist noch nicht zu Ende. Bevor die Sonne hinter den Bergen verschwindet, machen wir uns auf zur Trolltunga. Das sind nochmal etwas mehr als 1km pro Strecke, aber trotz des langen Tages schaffen wir die ganz gut. Ohne Rucksack läuft es sich doch leichter. Vorher hatten wir die romantisch verklärte Vorstellung, so spät Abends allein vor Ort zu sein – schließlich müssen Tagestouristen insgesamt 28km hin und zurück laufen. Das Alleinsein hat in Island am Dettifoss schließlich auch geklappt. Aber hier ist das anders. Das war schon klar, als wir einige Zelte sehen konnten und vor Ort laufen dann tatsächlich noch ungefähr 30 Leute herum. Auch weiter hinter der Trolltunga stehen noch etliche Zelte. Ganz schön was los hier! Und natürlich wollen auch wir die klassischen Fotos haben.

Toll sehen sie schließlich aus. Aber wir wollen auch ehrlich sein: mit der richtigen Perspektive sieht es eindrucksvoll und unheimlich spektakulär aus, auf diesem Felsen zu stehen oder gar an der Felskante zu sitzen. Die Realität sieht aber ganz anders aus und ist ziemlich ernüchternd. Natürlich ist die Trolltunga irre hoch, befindet sich aber überhaupt nicht über einem „endlosen“ Gewässer, sondern nur über Gestein und Bäumen. Der Blick runter ist also nicht aufregend. Die Ecken drumherum und der Preikestolen laden stattdessen zu schöneren Ausblicken ein.

Um auf die Trolltunga zu kommen, muss man ein paar Meter absteigen. Als Unterstützung helfen dabei ein paar Eisengriffe, die in den Fels eingelassen sind. Wir schmunzeln ein bisschen über die Coronahinweise, doch bitte nach jeder Person die Griffe zu desinfizieren und bloß nicht die Kamera von anderen Leuten in die Hand zu nehmen. Jetzt gibt es keine Desinfektion mehr und Kameras und Handy werden sowieso fröhlich weitergegeben, aber wir fragen uns ohnehin, ob diese Regeln wohl jemals konsequent eingehalten wurden. Gegen halb 12 liegen wir schlussendlich im Zelt. Wir sind so müde, dass wir nicht einschlafen können. Ach übrigens, als Tourimagnet gibt es an der Trolltunga selbstverständlich bestes Netz für Telefon und Internet. Für uns ist das ganz praktisch, um den Reisebericht zu veröffentlichen. Wir haben nämlich während der Wanderung beschlossen, den nächsten Tag als Ruhetag zu nutzen und uns das Tourispektakel an der Trolltunga anzusehen. Tagsüber darf man nämlich mit 2h+ an Wartezeit für sein aufregendes und einzigartiges Foto oder Drohenvideo rechnen. Wir Menschen sind schon echt verrückt.

 

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