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NPL, Der Start

Die Anreise

Plötzlich ist er da, der Tag an dem es losgeht. Es fühlt sich komisch an und irgendwie falsch. Stefan drückt es so aus: Als hätte man ewig für eine Prüfung lernen wollen und dann ist sie plötzlich da und man hat vorher nichts geschafft. Oder aber man lernt und lernt und lernt dabei nicht ansatzweise das, was man sich vorgenommen hätte. Eventuell sind wir etwas aufgeregt.
Die Nacht ist kurz und wenig entspannend – wer hätte es gedacht. Wir stehen gerädert auf und genießen eine letzte heimische Dusche. Die ist relativ kühl, da wir am Wochenende normalerweise nicht schon um 6 Uhr morgens heißes Wasser benötigen. Aber so werden wir immerhin halbwegs wach.
Die letzten Sachen für die Fährüberfahrt werden gepackt, der letzte Müll raus gebracht und der letzte Kontrollgang durch das Haus findet statt. Ist uns bewusst, dass wir nun für Monate nicht mehr hier sein werden? Nein. Der Gedanke ist noch ganz weit weg. Wir schultern unsere Rucksäcke und laufen los.
Der Himmel ist blau, die Sonne strahlt. Der Tag könnte nicht schöner sein. Um kurz nach halb 8 kommen wir bei meinen Eltern an.


Rucksäcke ins Auto und dann geht es los. Wir sind, mit einer kleinen Pause, um ca. Viertel vor 12 am Fähranleger in Cuxhaven.


Der Check-in verläuft schnell, so dass wir bald auf das Schiff kommen. Und auch die Kabinen sind schon fertig. Es läuft alles wunderbar! Um kurz nach 15 Uhr machen wir uns zu viert auf den Weg zum Sonnendeck. Das Schiff ist nicht das allerneuste und versprüht mit seinen roten Teppichen und goldenen Dekorelementen einen 90er Charme und lässt bei mir immer wieder Szenen aus Titanic aufflackern. Das ist allerdings auch mein einziger Bezug zu Kreuzfahrtschiffen bisher. Und dazu zähle ich die Fähre nun einfach mal, da wir dort übernachten 😉
Um 18.30 Uhr geht es zum Abendessen. Mit Hinblick auf den drohenden Hunger während der kommenden Monate haben wir wohlweißlich das Buffet für uns alle gebucht. Und das ist ein Hit! Wir essen alle mehr, als gut ist und entdecken zufällig auch, dass Bier und Wein zum Getränkebuffet gehören.
Stefan ist durch das Fresskoma vollends ausgeknockt. Die erst kurz zurückliegende Arbeit, der Stress der letzten Vorbereitungen und vielleicht auch der immer wieder spürbare leichte Seegang haben bei ihm zu dicken Kopfschmerzen geführt. Auch ich habe über den Tag verteilt immer mal wieder Kopfschmerzen bekommen. Mal mehr, mal weniger. Die lagen aber definitiv am Seegang, den ich sehr genau gespürt habe. Allerdings war der wirklich leicht, so dass ich auf die Reisekaugummis verzichten konnte. Eine absolute Wohltat! Nach dem Essen gehen wir kurz raus, um nochmal einen Blick auf das Meer zu haben. Zufällig erwischen wir genau den Sonnenuntergang.


Es sieht wunderschön aus! Da verdient die Romantika doch glatt ihren Namen (so heißt unser Schiff nämlich). Dann ist es Zeit für’s Bett. Wir sind alle müde vom Tag.

Tag 1, 15. Mai 2023

Unser Wecker klingelt um 06.45 Uhr. Wir sind aber beide schon etwas früher wach. Die Nacht war gut. Wir genießen eine letzte (winzig kleine) Dusche in unserem Badezimmer(chen), die herrlich heiß ist. Dann geht es zum Frühstück. Es steht wieder Buffet auf dem Programm, aber wir sind noch so voll vom Abend, dass wir nur halbherzig zugreifen können. Ich freue mich besonders über Paprika und Wassermelone. Das gibt es wahrscheinlich so schnell nicht wieder. Und dann ist es auch bald schon Zeit, sich die Wanderkleidung anzuziehen und an der Reling die Einfahrt nach Kristiansand zu beobachten.


Alles fühlt sich irgendwie komisch an. Dass wir heute tatsächlich unsere Norge på langs Tour beginnen werden, ist ganz weit weg. Unwirklich. Um zwanzig vor 10 dürfen wir zum Auto, um kurz nach 10 fahren wir von der Fähre. Die Abläufe sind wirklich super. Wir können die Überfahrt uneingeschränkt empfehlen! Und wir sind uns gleichzeitig auch uneingeschränkt sicher, dass wir in unserem Leben niemals eine klassische Kreuzfahrt machen wollen. Die Zeichen für eine Rückfahrt mit den Hurtigruten stehen hingegen gut. Mein Magen ist anscheinend dafür. Jetzt müssen wir also nur noch am Nordkapp ankommen… aber dafür laufen wir wohl lieber erstmal los!
In Kristiansand bringen wir unsere Pakete zur Post. Diese werden anstandslos entgegengenommen. Um 10.20 Uhr ist unsere To-do Liste also abgehakt. Das ging viel schneller als gedacht! Dann also auf zum Kap Lindesnes!
Und dort sind wir schon um kurz vor 12. Der Weg dorthin verläuft über eine nagelneue Autobahn. Das Autonavi von Papa erzählt uns, wir seien Offroad unterwegs und empfiehlt eine Geschwindigkeit von 30km/h. Wir sind aber mutig und folgen den Beschilderungen von 80-130km/h.
Meine Eltern sind überrascht von der doch sehr bergigen Landschaft. Ich ehrlich gesagt auch, möchte es aber nicht zugeben und werfe mit klugem Halbwissen zur Gesamthöhenmeteranzahl der Tour um mich. Insgeheim denke ich mir aber, dass ich die Idee vom entspannen Start auch mit einer entspannten Wegführung (= keine Höhenmeter) gleichgesetzt habe. War wohl nicht ganz richtig.
Am Lindesnes fyr angekommen, machen wir zuerst die Fotos am berühmten Nordkapp-Schild.


2518km sagt das Schild. Mal sehen, wie viele wir am Ende zusammen haben.
Dann dürfen wir uns direkt bei Morton, dem Leuchtturmwärter, im NPL-Buch eintragen.



Wir füllen die Seite nach Daniel, der ebenfalls aus Deutschland kommt und ein paar Stunden vor uns gestartet ist. Wir werden uns wohl früher oder später begegnen.
Wir erkunden ein bisschen die Anlage und gönnen uns dann noch eine kurze Pause zu viert mit Eis. Und dann kommt unweigerlich der Moment des Abschieds. Die Sonne lacht, der Himmel ist herrlich blau und wir freuen uns tatsächlich wie verrückt, endlich zu wandern und Zeit in der Natur zu verbringen. Dass es jetzt aber der Start für eine mehrmonatige Tour ist, will uns überhaupt nicht in den Kopf. Ich habe im Vorhinein oft darüber nachgedacht, wie der Startmoment wohl sein wird. Ich bin immer von extremen Emotionen ausgegangen. Nun fühle ich mich aber eher, als würde ich neben mir stehen. Es ist einfach unwirklich.
Meine Eltern erfassen die Situation hingegen wesentlich deutlicher und halten den Abschied(sschmerz) kurz und bündig, aber nicht weniger emotional. Ein paar Tränen huschen mir über das Gesicht und dann gehen wir los. Ich verbiete mir, den Emotionen freien Lauf zu lassen. Geweint habe ich während der letzten Tage bereits genug. Stattdessen bemühe ich mich, mich auf die Umgebung zu konzentrieren. Und die ist wunderschön!
Wir verpassen den Einstieg zum Wanderweg zwar auf den ersten drei Metern, aber auf dem richtigen Weg geht es dann gut voran. Wenn auch langsamer als gedacht. Irgendwer hat da fürchterlich viele Felsbrocken in den Weg geworfen. Und dann ist es auch noch hügelig, matschig und rutschig dazu. Auf den ersten Kilometern erleben wir anscheinend NPL in Kurzform. Gut, dass wir nach kurzer Zeit die Wanderstöcke ausgepackt haben, sonst wären wir vermutlich in dem ein oder anderen Wasserloch versunken… Pro forma mache ich mich natürlich auch nach kurzer Zeit einmal lang. Man will den Start ja auch gebührend feiern oder so… Immer wieder haben wir tolle Blicke auf’s Meer, aber so für den Einstieg ist der Wanderweg Richtung Stusvik ganz schön anstrengend.


Es scheint so, als hätten wir alles Wichtige eingepackt, nur die Kondition lümmelt noch daheim mit ner Tüte Chips auf der Couch rum. Hoffen wir, dass sie sich schnell auf den Weg macht!
Bei der ersten Pause holen wir direkt die Sonnencreme raus und versuchen, unsere Köpfe zu retten. Eine leichte Röte ist vorhanden, aber jetzt sind wir erstmal sicher.
Nach ca. 4 recht mühsamen Kilometern wechseln wir auf eine Schotterstraße.


Ab hier läuft es locker und entspannt. Stefan fordert irgendwann eine zweite Pause ein, da er das Gefühl hat, es würde etwas im Schuh scheuern. Also suchen wir eine windstille Ecke am Wegesrand und ziehen erstmal die Schuhe und Socken aus. Verwundert blickt Stefan auf seine rechte Socke. Die Ferse ist schon ziemlich durchgescheuert. Sind die neuen Socken fehlerhaft oder hat er zufällig alte eingepackt? Beim Blick auf die linke Socke wird es klar: Statt einer Ferse klafft dort ein riesiges Loch.


Die Socken sind definitiv richtig alt und ein Fall für den Müll. Stefan starrt ungläubig auf die Socke und ich komme aus dem Lachen nicht mehr heraus. Wir wollen es bis zum Nordkapp schaffen und kriegen es nichtmals auf die Reihe, die richtigen Socken einzupacken. Achtung, hier sind absolute Vollprofis am Werk… Die Socken werden nun vorläufig ein Dasein als Schlafsocken fristen und bei Gelegenheit ausgetauscht. Stefan kann immer noch nicht glauben, wie das passieren konnte und dass ihm das selbst beim anziehen nicht aufgefallen ist… Also gibt es ein paar neue Socken aus dem Rucksack. Sicherheitshalber kontrolliert er direkt beide noch vorhandenen Sockenpaare, aber die sind zum Glück einwandfrei. Und, man glaubt es kaum, jetzt scheuert auch nichts mehr beim Laufen.
Nach 8 Kilometern entschließen wir uns, dass wir heute die 10 schaffen wollen. Das Wetter ist herrlich und auf dem Schotter läuft es sich sehr entspannt. Allerdings gehen wir mittlerweile durch bewohntes Gebiet, so dass sich keine Zeltmöglichkeit finden lässt. So entscheiden wir uns für noch etwas mehr Strecke und folgen der Straße nach Spangereid für die letzten 2,5 Kilometer.
Nach etwas über 13km beenden wir den allerersten Wandertag auf dem Campingplatz. Beim Betreten des Platzes sehen wir ein rotes Zelt. Na wenn das mal nicht Daniel ist, witzeln wir.
Am ersten Häuschen entdecken wir die Preisliste, gucken aber nur oberflächlich und suchen die Rezeption, damit wir uns anmelden können. Als wir dabei um die Ecke laufen, kommen wir zu einem Raum, der anscheinend eher eine Küche darstellt. Keine Rezeption. Wir wollen wieder gehen, als wir eine Stimme hören: „Ja, die kommen wohl gerade rein.“ und schon geht die Tür auf. „Simone und Stefan, nehme ich mal an?“ lacht uns Daniel entgegen. Klein ist die Welt. Offenbar auch in Norwegen. Er erklärt uns, dass es keine Rezeption gibt und das Geld einfach in einen Briefkasten geworfen wird. Für die Duschen bräuchte man Münzgeld. Das hat aber keiner von uns dreien. Und deshalb warnt Daniel uns vor: Das Wasser in den Duschen sei eiskalt. Und das können wir bestätigen. EISKALT!
Nachdem wir das Zelt aufgebaut haben, packen wir unsere Sachen für’s Abendessen, bringen alles zu Daniel in die Küche und duschen dann schnell.
Vor dem Eisbad gibt es noch eine Zeckenkontrolle. Die hat uns mal so gar nicht gefehlt. Wir werden nicht fündig, aber nachdem Stefan unterwegs so ein unliebsames Tierchen auf seiner Hand hat krabbeln sehen, passen wir nun lieber besonders gut auf.
Wir sind froh, dass wir uns nach der Dusche mit einem heißen (Tüten)Essen aufwärmen können. Und den Gedanken an eine Dusche zum Aufstehen verwerfen wir direkt wieder. Zu dritt plaudern wir noch eine ganz Weile. Über unsere geplanten Routen, das Schneethema und dieses und jenes. Daniel verabschiedet sich gegen viertel vor 9 ins Bett. Er ist ein absoluter Frühaufsteher und morgen wahrscheinlich schon weg, wenn wir aufstehen. Wir planen nämlich, die ersten Tage ganz gemütlich auszuschlafen. Wir bleiben noch bis 22 Uhr sitzen. Ich schreibe Tagebuch, Stefan beantwortet ein paar Nachrichten. Davon gibt es nach unserem Start heute wahnsinnig viele. Dann geht es auch für uns ins Zelt. Wir freuen uns auf eine gemütliche Zeltnacht.

Dieser Beitrag hat 27 Kommentare

    1. Das habe ich Stefan auch unterstellt.😂 Da wir die Socken aber durchaus brauchen, ist das wohl doch tatsächlich irgendwie schiefgelaufen…

  1. Ich könnte jetzt ja auch ein Sockenkommentar hinterlassen, aber lasse das mal – Sockenwitze sind meist gar nicht so lustig 😀

  2. Ich hatte nach 6km nach meinem Start die erste Blase – da ist die Socke besser 😄 habt einen tollen Start, und das mit der Kondition kommt noch!

  3. Gestern Abend habe ich das Buch „Norwegen der Länge nach“ von Simon zu Ende gelesen. Heute morgen habe ich auf seinem Blog gestöbert und die Seiten zu der „Klasse 2023“ gefunden. Wie wunderbar. Ich werde Euch herzlich gern begleiten. Dein Schreibstil ist toll! Ich drücke Euch die Daumen für eine ganz großartige Tour. (Mein Töchterchen hatte mit mit 6 – in Norwegen – auch mal ein komisches Gefühl im Schuh. Es entpuppte sich als Apfelstückchen. Eine Stunde waren wir da schon unterwegs 🙂 )
    Alles Liebe für Euch, Andrea

    1. Vielen Dank für deinen Kommentar, Andrea! Der hat mich sehr gefreut 🙂 Ich wünsche dir noch viel Spaß beim Lesen. Mal sehen, welche Eskapaden uns hier noch passieren😂 Zeit haben wir ja noch genug…
      Liebe Grüße!

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